Überforderter Manager und Mitarbeiter

8 Rollen für Führungskräfte

02.02.2020
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Die Digitalisierung führt zu mehr Unsicherheit, höherer Taktung und weniger Planbarkeit bei hohem Veränderungsdruck. Der Berater Lead empfiehlt, sich an Zen-Schülern oder Disk Jockeys zu orientieren.
  • Führungskräfte verfolgen vermehrt den Ansatz "befähigen statt kommandieren"
  • "Was viele fühlen, ist dieser Dauerstress, ich möchte immer ordnen, sortieren, managen, messen und deuten - aber es greift nicht, wird nicht fertig und stürzt auf mich ein."
  • Aus den Einzelgesprächen leiten die Studienautoren acht Rollen ab, die Entscheidern Orientierung geben sollen
Überforderte Manager und Mitarbeiter kommen immer häufiger vor.
Überforderte Manager und Mitarbeiter kommen immer häufiger vor.
Foto: Ground Picture - shutterstock.com

Wie sich die Schlagworte von volatilen Märkten und Innovationsdruck, Digitalisierung und neuen Geschäftsmodellen auf Führungskräfte auswirken, ist Thema der Studie "Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt". Deren Urheber sind LEAD (Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy) in Kooperation mit der Unternehmensberatung Company Companions sowie der School of Public Policy (Central European University, Budapest) und dem Center for Leadership and Values in Society (Universität St. Gallen).

Die Studie ist als explorative Analyse zu verstehen. Die Forscher haben Gespräche mit 31 Top-Managern ebenso aus DAX-Konzernen wie aus Familienunternehmen und Start-Ups geführt. Unter den Befragten finden sich Vorstände wie Gründer.

Die Befragten berichten von "wachsender Unsicherheit bei höherer Taktung". Die Zukunft sei immer weniger planbar, die Veränderungsdruck immer größer. Das überfordere Mitarbeiter wie Unternehmensstrukturen.

Immer mehr Stakeholder wollen mitreden

Darüber hinaus sprechen die Befragten von immer mehr Stakeholdern, die mitreden wollen. Beispielsweise müssen sich Energiekonzerne bei großen Infrastrukturprojekten mit einer kritischen Öffentlichkeit auseinandersetzen und sehen sich unter hohem Legitimationsdruck. Das gilt aber auch für andere Branchen. So sagte eine Managerin aus einem DAX-Konzern: "Es ist nicht mehr möglich, Dinge im stillen Kämmerlein auszuprobieren. Man steht immer im Brennpunkt der Öffentlichkeit."

Einen Ausweg suchen manche Chefs in der Delegation von Entscheidungsgewalt in das Unternehmen hinein. Sie folgen dem Motto "Befähigen statt kommandieren".

Die Studienautoren sehen Führungskräfte vor drei große Herausforderungen gestellt. Sie müssen

1. die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sichern

2. mit dem Unternehmen interagieren und

3. die eigene Rolle als Führungskraft gestalten.

Grundsätzlich stellen die Studienautoren fest, dass sich Start-Ups in einer ganz anderen Situation befinden als etablierte Konzerne. Geht es bei Letzteren darum, verkrustete Strukturen aufzubrechen, müssen Erstere zunächst einmal Strukturen schaffen und ein Verständnis für Führung entwickeln und etablieren. Ein Gründer sagte denn auch: "Das Schwierigste ist die Phase, in der man merkt, dass es Strukturen braucht."

Seismologin, Zen-Schüler, Discjockey

Aus den Einzelgesprächen leiten die Studienautoren acht Rollen ab, die Chefs und Entscheidern Orientierung geben sollen.

Die Seismologin muss wissen, wo die Erde beben könnte. Dafür analysiert sie Daten, registriert feinste Erschütterungen und erkennt frühzeitig Spannungen. Sie erliegt aber nicht der Illusion, die Zukunft genau vorhersagen zu können.

Ihr Ziel: Grundlagen für gute Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu schaffen. Sie etabliert "Situation Rooms" zur Entwicklung von Handlungsstrategien, greift über digitale Plattformen auf verborgenes Wissen zu und schult ihre Intuition als zusätzliche "Datenquelle".

Die Theater-Intendantin wählt die Stücke für die Aufführung aus. Sie entwickelt den roten Faden und prägt die gesellschaftliche Wirkungskraft ihres Hauses. Die Künstler und deren Expertise bindet sie dabei ein.

Ihr Ziel: in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit Orientierung zu geben. Über ein "Strategy Board" schafft sie die Voraussetzung für Richtungsentscheidungen, erhöht mittels interaktiver Beteiligungsformen die Einigkeit über die Richtung - und hat den Mut zu klaren Ansage in der Krise.

Der Zen-Schüler ist in Ausbildung und Vorbereitung. Er lernt, reflektiert und prüft sich selbst. Achtsamkeit, Mitgefühl und Offenheit sind seine Tugenden, er pflegt eine disziplinierte (spirituelle) Praxis.

Sein Ziel: Das finden, woran er sich festhalten kann, wenn sich alle an ihm festhalten. Er nutzt Coaching- und Mentoring-Programme, schafft physische Räume für den Ausgleich und richtet den Blick nach innen.

Die Landschaftsgärtnerin gestaltet und pflegt Grünanlagen. Sie versteht das gesamte Ökosystem und weiß, wann welche Pflanzen im Jahreszeitenwechsel an welcher Stelle ihre Wirkung entfalten und wie alles zusammenspielt.

Ihr Ziel: Das Unternehmen langfristig aufzustellen, wenn Krise und Veränderung zum Normalfall geworden sind. Sie ermöglicht schnelles "Prototyping", geht unkonventionelle Partnerschaften ein und bricht Silos mittels heterogener, cross-funktionaler Teams auf.

Der Discjockey bringt mit seiner Musik die Menschen zum Tanzen. Er setzt einen Rahmen, der motiviert, anregt und gemeinsame Energie erzeugt. Zugleich hat er ein offenes Ohr für Anregungen und ein Gespür für das richtige Stück im richtigen Moment.

Sein Ziel: Eine Kultur der Zugewandtheit zu schaffen - aber mit dem Fokus auf Ergebnisorientierung. Dafür baut er Empathie als Führungskompetenz auf, schafft Räume, in denen Menschen gerne arbeiten, und agiert als Vorbild für Zugewandtheit und Leistungsorientierung.

Der Blogger kommentiert Geschehnisse - zugespitzt, aufrüttelnd und meist aus einer persönlichen Sichtweise. Er will die Welt verstehen, erklären und übersetzen. Er lebt vom direkten Feedback der Leser.

Sein Ziel: Veränderungsbereitschaft in die DNA des Unternehmens zu schreiben. Er kaskadiert die Geschichte der Veränderung in die Firma, moderiert gemeinsame Lernprozesse und gibt sichtbare Veränderungsanstöße.

Der Sportdirektor eines Vereins stellt den Kader zusammen und gestaltet die Spiel- und Terminpläne für Wettkämpfe und Trainings. Er instruiert Talentscouts, kauft Spieler ein und stellt Bewegungsfreiheit für erforderliche Transfers sicher.

Sein Ziel: Menschen zu finden und zu binden, die die Weiterentwicklung des Unternehmens konstant antreiben. Er erweitert die Suchkriterien für die Rekrutierung, stellt Mitarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ein und ermöglicht Familien- und altersgerechte Arbeitszeitmodelle.

Die Trainerin leitet ein Team taktisch, technisch und konditionell an. Sie bestimmt Trainingsablauf, Team-Aufstellung und Strategie. Sie muss für Misserfolge geradestehen, Erfolge lässt sie ihrem Team.

Ihr Ziel: Die Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme zu befähigen. Dafür entwickelt sie über zeitgemäße Lernformate Kompetenzen, baut gegenseitiges Vertrauen auf und führt Anreize zur Übernahme von Verantwortung ein.

In den Zitaten der Studienteilnehmer wird viel von dem Druck sichtbar, dem sich Entscheider ausgesetzt sehen. Ein ehemaliger Manager eines börsennotierten Konzerns formuliert es so: "Was viele fühlen, ist dieser Dauerstress, ich möchte immer ordnen, sortieren, managen, messen und deuten - aber es greift nicht, wird nicht fertig und stürzt auf mich ein."