Die IT-Branche ist mit ihrer enormen Innovationsdynamik der Inkubator für Cross Innovations in anderen Branchen und Unternehmen. Insbesondere unter dem Stichwort Digitalisierung ist die Informationstechnik Treiber für die Entwicklung neuer Dienstleistungen und Geschäftsmodelle. Damit IT-Unternehmen diesem Innovationsdruck selbst standhalten und daraus eigene Wachstumschancen generieren können, brauchen sie entsprechend qualifiziertes Personal. So meldet der Branchenverband Bitkom, dass bis Ende des Jahres rund 785.000 Beschäftigte in dieser Branche tätig sein werden. Das sind 58.000 mehr als noch im Jahr 2013. Angesicht des anhaltenden Fachkräftemangels ist diese Entwicklung umso erstaunlicher, zeigt aber auch, dass IT-Unternehmen immer mehr im Wettstreit um diese Personalressourcen stehen.
Recruiting rückt in den Vordergrund
Diesen Kampf um die Talente spürt auch die adesso AG, einer der größten IT-Dienstleister Deutschlands auf dem Gebiet der Entwicklung von Individualsoftware. Weil sehr gut ausgebildete Informatiker schwerer zu bekommen sind, hat der Recruiting-Aufwand deutlich zugenommen. Entsprechend werden die Strategien immer ausgefeilter, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Viele IT-Unternehmen suchen deshalb zum Beispiel grenzüberschreitend nach Arbeitskräften und versuchen zunehmend, auch nicht-klassische Personalressourcen zu erschließen. Für adesso steht fest, dass eindimensionale Strategien langfristig nicht wirksam sind. Der Grund: Der demografische Wandel führt nicht nur zu einer Verknappung des Arbeitskräftepotenzials, sondern hat auch andere Implikationen, die mit den Begriffen bunt und vielfältig beschrieben werden können.
- 1. Bedarfserkennung und Formulierung
Der gesamte Prozess startet, wenn das Unternehmen eine Vakanz erkennt und formulieren kann, wen es sucht. Dabei sollte gegebenenfalls der Betriebsrat hinzugezogen werden. - 2. Profilbestimmung
Soll die Belegschaft homogen gehalten werden, was das Führen einfacher macht, oder heterogen sein, um durch neue Blickwinkel und Perspektiven die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu steigern - solche Fragen sind zu klären. - 3. Marktbearbeitung
Ob die Personalsuche über digitale und mobile Kanäle erfolgt oder als ganz klassische Stellenanzeige - sie muss zu potenziellen Bewerbern passen. Grundsätzlich sagen Stellenausschreibungen immer auch etwas über das Unternehmensimage aus. - 4. Kandidateninformation
Busold rät von schwammigen Formulierungen wie "managementerfahren" ab. Besser seien konkrete Anforderungen wie "nachweisbare Erfahrung in der Führung von Teams mit fünf bis sieben Mitarbeitern". - 5. Kandidatenauswahl zum Gespräch
Bei Vorstellungsgesprächen sollten Entscheider bedenken, dass Bewerber Multiplikatoren sind. Sie können Kunden oder Konsumenten sein - und jetzt abgelehnte Bewerber zu einem späteren Zeitpunkt eben doch "der Richtige". - 6. Zweites Gespräch/Assessment Center
Im Rahmen eines Assessment Centers testet das Unternehmen das Verhalten der Kandidaten in verschiedenen Situationen. Hier sollen Verhaltensweisen und Sozialkompetenzen deutlich werden. - 7. Einstellungsprozess/Vertragsverhandlung
Mit der Einstellung und dem unterschriebenen Vertrag ist der Prozess noch nicht zu Ende. Der Vertrag stellt lediglich einen Zwischenschritt dar. - 8. Onboarding-Prozess
Im Onboarding-Prozess geht es darum, neue Mitarbeiter so gut wie möglich in das Team zu integrieren. Ziel ist immer die Bindung guter Mitarbeiter. - 9. Tag des Starts
Kommt der neue Mitarbeiter an seinem ersten Tag ins Unternehmen, müssen folgende Dinge geregelt sein: Schreibtisch, Laptop, Handy, Visitenkarten und Passwörter. Die anderen Mitarbeiter sollten informiert sein. Der Vorgesetzte nimmt den Neuen unter seine Fittiche und führt ihn durch die Firma. - 10. Die ersten sechs Monate
Das Unternehmen sollte einen Fahrplan für die ersten sechs Monate des neuen Mitarbeiters erstellen. Dem Neuen sollte ein erfahrener Kollege als Mentor zur Seite stehen. - Tipps von Matthias Busold, Kienbaum
Matthias Busold ist Principal beim Personalberater Kienbaum. Den optimalen Auswahlprozess eines Bewerbers unterteilt er in zehn Schritte.
Kein Leben lang im gewählten Beruf
Bunt und vielfältig bedeutet zum Beispiel, dass Personaler es heute mit Berufsbiografien zu tun bekommen, die nicht mehr so gradlinig sind wie früher. Das heißt, sie sind durch die erste Berufswahl nicht mehr für die nächsten Jahrzehnte vorherbestimmt. Heutige Berufsverläufe weisen Brüche und Diskontinuitäten auf. Dazu zählen beispielsweise der Wechsel in andere Branchen und Tätigkeitsfelder, Phasen von Familienarbeit, freiberuflicher Tätigkeiten oder Zeiten vorübergehender Arbeitslosigkeit.
Solche Erwerbsbiographien bieten für IT-Unternehmen tatsächlich große Chancen, neue Arbeitskräftepotenziale zu erschließen. So hat adesso Bereiche in der IT identifiziert, wo auch Beschäftigte mit anderen Ausbildungshintergründen eingesetzt werden können. Einen solchen Sektor stellt das Requirements Engineering dar. Gerade in diesem Feld sind Personen mit hohen kommunikativen und analytischen Kompetenzen erforderlich. Sie müssen sich in die Kundensituation hineindenken, die Sprache des Kunden verstehen und seine Anforderungen in die IT übersetzen können. Personen mit gesellschaftswissenschaftlichen Profilen weisen häufig solche kommunikative Kompetenzen auf und können sich die notwendigen Basiskenntnisse im IT-Bereich schnell aneignen. Im Requirements-Engineering-Team von adesso arbeiten deshalb neben ausgebildeten Informatikern auch ein Techniksoziologe und eine Philosophin.
Generation Y und die Digitale Bohème
Vielfalt bedeutet in Zeiten des demografischen Wandels aber auch, dass sich das Selbstverständnis und die Erwartungshaltung von Beschäftigten ändern. Während sich Freelancer in der IT-Branche früher negativ als "Netslaves" bezeichneten, drängt heute eine neue Generation erfolgreicher "Job-Nomaden" in die Branche, die sich als "Digitale Bohème" definiert und sich die Freiheit nimmt, "zu leben und zu arbeiten, wie man Lust hat".
Aber auch die junge Generation an Beschäftigten, die Generation Y, die eine Festanstellung sucht, zwingt IT-Unternehmen zum Umdenken. Sie wollen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Leben, wollen sich beruflich engagieren, aber ihre Freizeit dafür nicht opfern. Ältere Generationen hätten sich das wohl auch gewünscht, die Jüngeren haben aber zunehmend die Macht, dieses Lebenscredo auch umzusetzen. Mehr noch: Sie verändern auch die Kommunikation in den Unternehmen, wollen ihre persönlichen Devices und Kommunikationskanäle auch im Job bedienen. Service-Provider adesso hat darauf mit einem eigenen BYOD-Ansatz für Mitarbeitende reagiert.
- Generation Y
Im Jahr 2020 wird jeder Zweite ein Angehöriger der Generation Y sein. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Freelancernetzwerks Elance-oDesk. - Generation Y
Schon heute stammt jeder dritte Chef aus den Reihen der Generation Y, in zehn Jahren sieht sich die Hälfte der Befragten in einer Führungsposition. - Generation Y
Die Generation Y bindet sich nicht für Jahre oder gar Jahrzehnte an Arbeitgeber. 56 Prozent der zwischen 1977 und 1998 Geborenen bleiben nicht einmal drei Jahre bei einem Unternehmen. - Generation Y
Insgesamt 42 Prozent der Studienteilnehmer halten Loyalität zum Arbeitgeber für überholt. - Generation Y
Bei der Jobsuche zählen für die Generation Y diese fünf Themen: - Generation Y
Oberste Priorität hat für die zwischen 1977 und 1998 Geborenen ein gutes Team (56 Prozent). - Generation Y
Ebenso wichtig ist der Generation Y eine spannende Tätigkeit (56 Prozent). - Generation Y
An dritter Stelle steht das Verdienstpotenzial, das für jeden Zweiten Priorität hat. - Generation Y
Für 31 Prozent der Befragten liegt die Priorität bei der Stellenwahl auf einem klaren Karrierepfad. - Generation Y
Neun Prozent ist bei der Stellensuche das Ansehen des Unternehmens wichtig.
Wenn die Vielfalt im Unternehmen größer wird, steigen damit automatisch die Herausforderungen. Zum Beispiel taucht die Frage auf, ob Alters- und Jugendstereotype vorhanden sind, die das Arbeiten in altersgemischten Teams erschweren. Für eine Antwort auf diese Frage ist es bei adesso noch zu früh.
Verborgene Talente und Know-how ausfindig machen
Eine Herausforderung ist es auch, wie mit den zunehmend heterogener werdenden Kompetenzprofilen der Mitarbeitenden umzugehen ist. Diese Profile sind in der Regel nicht über die klassischen IT-bezogenen Kompetenzkataloge abzubilden. Anderseits verschenkt ein Unternehmen aber auch Ressourcen, wenn es diese Fähigkeiten nicht für sich erschließt. Aus diesem Grund hat adesso im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojektes einen "Kompetenz-Profiler" entwickelt, mit dem Mitarbeiter unter anderem ihre verborgenen Begabungen freiwillig erfassen und über einen Tagging-Mechanismus mit Fertigkeiten aus einem vordefinierten Kompetenzkatalog in Beziehung setzen können. Wenn zum Beispiel jemand für ein Projekt gesucht wird, der Branchenkenntnisse im Bereich Gartenbau hat, dann können mit dem Kompetenz-Profiler nun auch diejenigen gefunden werden, die sich in vergangenen Berufsphasen oder auch in ihrer Freizeit mit dem Thema intensiv beschäftigt und Know-how haben.
Gleichzeitig sind Vielfalt und Interdisziplinarität der Nährboden für Innovationen. Es ist deshalb sowohl Herausforderung als auch Chance für Unternehmen, die sich aus dem demografischen Wandel, den bunten Erwerbsbiographien sowie der Vielfalt an Beschäftigten ergebenden Potenziale zu erschließen. (pg)
Angela Carell ist bei der adesso AG für den Bereich Forschung und Forschungsförderung verantwortlich. Darüber hinaus befasst sie sich mit dem Thema "Kreativitätsförderung in Organisationen und Teams".