Enterprise Resource Planning

3 gute Gründe, weshalb ERP sich ändern muss

16.08.2016
Von 


Christoph Kull ist Vice President und Managing Director Central Europe bei Adobe. Davor war er Geschäftsleiter Vertrieb und Marketing für die Region DACH bei Workday. Er kann auf über 15 Jahre Erfahrung in der Software Branche zurückblicken und verfügt über einen MBA in International Consulting von der Graduate Business School in Pforzheim sowie einen Universitätsabschluss in Wirtschaftsinformatik der University of Washington in Seattle.
Über 25 Jahre hat die klassische Unternehmens-Software Geschäftsbereiche revolutioniert. ERP ist heute zwar immer noch ein 40-Milliarden-Dollar-Markt, doch Cloud-Services sind längst verbreiteter. Ist das ERP noch zu retten?

Eine IDC-Studie hat ergeben, dass der globale Markt für Public-Cloud-Anwendungen im Jahr 2015 ein Volumen von 70 Milliarden Dollar erreicht hatte - gleichzeitig wuchsen die Umsätze im SaaS-Segment beinahe fünfmal schneller als bei traditioneller Software. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich abermals damit auseinanderzusetzen, welche Rolle Enterprise Resource Planning (ERP) in modernen Unternehmen spielt und wie einige Makrofaktoren die Diskussion rund um Unternehmensanwendungen grundlegend verändern.

1. Die Strukturen des globalen Wirtschaftens haben sich verändert

Wir leben in einer Ära, in der 40 Prozent der Fortune-500-Unternehmen binnen der nächsten zehn Jahre verschwinden werden - so zumindest eine Schätzung von Forschern der Washington University. Die Auswirkungen der digitalen Umwälzung sind auf allen Ebenen der Wirtschaftswelt spürbar. Aber was ist gemeint, wenn von digitaler Umwälzung die Rede ist? Einfach gesagt: die Veränderung, die mit der unaufhaltsamen Entfaltung verschiedener Langzeittrends einhergeht. Das Gesetz von Moore führt zu schnelleren Computern, besserer Vernetzung und günstigerem Speicherplatz. Die Folgen dieser Veränderungen verstärken sich gegenseitig, die Geschwindigkeit des Wandels nimmt fortlaufend zu.

Wenn man auf die Ursprünge von ERP zurückblickt, verwundert es nicht, dass der Aufstieg der digitalen Wirtschaft auf diese Legacy-Technologie Druck ausübt. Von Anfang an ging es bei ERP mehr um die Herstellung und den Vertrieb von Produkten als um die Menschen in einer Organisation. Mitarbeiter wurden auf ihre Arbeitskraft reduziert und unter dem Aspekt zu verringernder Lohnkosten betrachtet, während ERP die Fusion von Warenhaltung und Finanzwesen in den Mittelpunkt rückte. Heutzutage, da Services und Dienstleistungen im Vordergrund stehen, sind zugleich nicht mehr "Dinge" die wertschaffenden Faktoren, sondern die Menschen und ihre Fähigkeiten. In den vergangenen Jahrzehnten ist der Dienstleistungssektor in zahlreichen Volkswirtschaften stark gewachsen. Parallel dazu legen selbst Unternehmen, die keine Dienstleistungen anbieten, bei der Suche nach Innovationen den Fokus immer stärker auf ihre Mitarbeiter.

Wenn die physischen "Dinge" im Zentrum des Wertschaffungsprozesses stehen, dann ist die Verknüpfung von Finanzwesen, Lieferkette und Warenhaltung ein vernünftiger Ansatz. Wenn die Wertschöpfung jedoch auf geistiges Eigentum, Innovation oder Dienstleistungen (also auf Menschen) fokussiert, dann sollte das Finanzwesen eng an die HR-Abteilung geknüpft werden. Kurzum: Wenn der Hauptzweck sich verändert hat, müssen sich entsprechend auch die Werkzeuge ändern.

2. Die Anforderungen an unterschiedliche Abteilungen haben sich verändert

Dies führt auch zu der Frage, wie sich die Anforderungen der Unternehmensverantwortlichen verändert haben, wenn es um die Fachabteilungen einer Organisation geht. CEOs möchten in der Lage sein, datengestützte Entscheidungen zu treffen - und das schneller als jemals zuvor. Sie erwarten, dass Abteilungen schneller handeln und verstärkt als strategische Partner des Unternehmens auftreten.

Traditionelle ERP-Systeme wurden nicht für den Einsatz im digitalen Zeitalter entworfen. Ihr Zweck war es, einen begrenzten, aber wichtigen Datensatz zu erfassen und die gewonnenen Informationen auf Transaktionsbasis zu verarbeiten. Um die reichhaltigen neuen Datentypen auszuwerten und alle externen Quellen zu managen, die für ein umfassendes Gesamtbild herangezogen werden müssen, ist diese Funktionsweise jedoch nicht ausreichend. Anbieter haben auf dieses Manko mit der Integration neuer Systeme reagiert. Sie versuchen, die Daten aus jedem einzelnen von ihnen zu extrahieren und sie in separaten Reporting- und Analyse-Tools zusammenzuführen. Das Endergebnis ist ein Flickenteppich, in den diverse Integrationen, Verknüpfungen und Middleware eingeflochten sind und dessen Benutzung, Management, Aktualisierung und Steuerung schwierig und teuer ist.

Durch das Aufkommen von Cloud Computing und besser skalierbarerer wie kostengünstiger Rechenleistung können Unternehmen auf moderne Technologie-Plattformen zurückgreifen. Wenn diese auch auf In-Memory- und objekt-orientierten Datenstrukturen basieren, ermöglichen sie ihnen die schnelle Verarbeitung von Transaktionen und unterstützen die Entscheidungsfindung im Tagesgeschäft. Cloud Computing löst einige der Herausforderungen, die die moderne, sich grundliegend verändernde Geschäftswelt bereithält: Es ist skalierbar und flexibel und somit sehr schnell an Veränderung anpassbar. Zudem liefert Cloud Computing Unternehmen automatisch und regelmäßig neue Innovationen und Updates. Und schließlich kann Cloud Computing zu einer "Single Version of Truth" führen.

Diese ist von großer Bedeutung, denn Unternehmen erwarten mehr und mehr von den Daten, die sie zur Verfügung haben. Die Gewissheit, dass Informationen korrekt sind, ist wesentlich, wenn Unternehmen ihre Daten in die Entscheidungsfindung und Entwicklung von Strategien einfließen lassen wollen. Zum Beispiel können sich Unternehmen grundsätzlich von der alten Welt der Legacy-Unternehmenssoftware entfernen, in der Abteilungen die Hälfte ihrer Meetings voneinander abweichende Zahlen "diskutierten", die ihre jeweiligen Systeme ihnen geliefert hatten - anstatt sich mit einem einzigen Satz an konsistentem, konsensfähigem Zahlenmaterial zu beschäftigen.

3. Die Anforderungen an das Kerngeschäft haben sich verändert

Damit gelangen wir zum letzten Teil des Puzzles. Wenn wir über den Aufstieg von ERP nachdenken, dann erkennen wir darin einen der technologischen Schlüsselmomente des industriellen Zeitalters. Die Geschwindigkeit des Wirtschaftens ist in den vergangenen 25 Jahren exponentiell angestiegen und die Anforderungen an Unternehmenssoftware, schneller, flexibler und agiler zu sein, sind für moderne, vorwärtsdenkende Unternehmen nicht mehr verhandelbar. CEOs erwarten mehr von ihrem Unternehmen und suchen nach zunehmend aggressiveren und innovativeren Wachstumsstrategien. Ein System, mit dem ein neuer Bürostandort in vier bis sechs Monaten in Betrieb genommen werden kann, im Vergleich mit einem System, bei dem dieser Prozess lediglich 30 bis 60 Minuten dauert, erstickt die Innovationskraft eines Unternehmen von Grund auf.

ERP-Systeme wurden nicht entwickelt, um Veränderungen mitzugehen und sie erfordern zahlreiche Anpassungen, um spezifische Anforderungen zu erfüllen. Skalierung, die parallel zum Unternehmenswachstum ablaufen sollte, wird so zu einem langen und mühsamen Prozess. Durch die Cloud gibt es eine neue Vorstellung davon, wie eine Anpassung an Veränderungen aussehen sollte. Sie überträgt die Verantwortlichkeit wieder auf die Anbieter von Technologien und treibt sie an, Software zu entwickeln, die mit den sich verändernden Geschäftsanforderungen mitwachsen kann. Unternehmen benötigen heute Systeme, die Informationen über die Finanzen und Mitarbeiter einer Organisation schnell und effizient kombinieren können.

Anbieter, die nicht mit den sich verändernden Anforderungen mithalten konnten, haben lange darauf gesetzt, existierende Verfahren um Stückwerk zu ergänzen. Fehlende Funktionen wurden Systemen "angeflanscht", zentrale Unternehmensanwendungen wurden so zu einem Mischmasch aus Akquisitionen, Verknüpfungen und Middleware. So konnten Anbieter zwar funktionale Lücken schließen, aber nicht die Transformation von Unternehmen unterstützen. Jede nachträgliche Ergänzung hat eine eigene Schnittstelle und der Austausch von Daten mit anderen Systemen ist nicht immer reibungsfrei möglich (selbst dann nicht, wenn die Systeme vom gleichen Anbieter kamen) - das macht das Arbeiten mit solchen Systemen nicht einfach.

Martin Gill, Vice President von Forrester Research, sagte zu CIO.com: "Hier geht es für Unternehmen um mehr, als einige neue Websites oder Apps zu ergänzen. Es ist eher so, als würden Unternehmen ihr Betriebsmodell neu starten."

Organisationen müssen ihre Herangehensweise an Technologie von Grund auf überdenken. Unternehmen, die gestalten wollen statt passiv "umgewälzt" zu werden, setzen auf Cloud Computing. Sie verstehen die Bedeutung von Echtzeit-Daten und verlangen agile Systeme, welche die Veränderungen der Geschäftsprozesse mittragen und unterstützen können. Das ist der beste Weg, mit einem Sturm umzugehen, der mit der Zeit wohl noch stärker werden wird. (fm)