Es ist auch schon wieder zehn Jahre her, dass das Bayerische Fernsehen in den Redaktionsräumen der Macwelt eine Expertenmeinung – oder eher eine Expertenerinnerung – einholte: Wie war das damals, zehn Jahre davor, als uns plötzlich scheinbar weiße Kabel aus den Ohren wuchsen?
Der iPod, den Apple am 23. Oktober 2001 der Öffentlichkeit präsentierte, hatte zwar enorme Auswirkungen auf Kultur und Technik des Musikhörens, aber so schnell wie es im Rückblick der nunmehr letzten 20 Jahre aussieht, ging es dann doch nicht. Der iPod kam nicht nur zu einer Zeit gedämpften Konsumverhaltens – sechs Wochen nach den traumatischen Erlebnissen von 9/11 – er war anfangs auch noch ein Nischenprodukt zum Premiumpreis. Wir weigerten uns beispielsweise vehement, noch vor Weihnachten 1000 Mark für ein Musikabspielgerät auszugeben und kauften dafür lieber nach Silvester für 500 Euro ein …
Aber Spaß beiseite: Der iPod stieß wie Jahre später das iPhone auf Unverständnis und die nicht einmal so fern liegende Nachfrage, wer denn das Gerät kaufen sollte. Alle Welt – also zumindest die Mac-Welt – rechnete seinerzeit mit einer Neuauflage des Newton. War das skalierbare neue Betriebssystem Mac-OS X nicht geradezu prädestiniert, den Taschencomputer neu zu erfinden? Das sollte dann ja noch kommen – 2001 war Apple noch nicht so weit, hatte aber anders als alle anderen eine Idee, wie man denn die von Toshiba entwickelte 1,8-Zoll-Festplatte mit ihrer Kapazität von 5 GB nutzen könnte.
Der Rest der Welt außerhalb des Apple-Universums nahm den iPod im Herbst vor 20 Jahren eher amüsiert zur Kenntnis. Fünf Gigabyte Speicher? Schön und gut – aber warum benötigt man dann einen Mac, um das Gerät zu befüllen? Und überhaupt: der Preis.
Mit dem Mini beginnt der iPod zu fliegen
Schon ein Jahr später sollte sich das aber ändern, der zweite iPod brachte nicht nur gleich 10 GB Speicher, sondern optional auch USB 2. Dazu gab es iTunes für Windows, laut Steve Jobs "die beste Software, die je für Windows geschrieben wurde." Wenn das stimmt, möchten wir alle anderen Programme nicht einmal ansatzweise ausprobieren. So richtig nahm der iPod dann aber erst ab 2004 Fahrt auf, als der iPod Mini zum deutlich reduzierten Preis und mit einer großen Farbauswahl die Herzen und Ohren der Musikfreunde erwärmte. Die Festplatte darin war mittlerweile auf 1 Zoll (ca. 25 Millimeter) geschrumpft und sollte schon anderthalb Jahre später von Flash-Speicher verdrängt werden, als der iPad Nano den Mini ablöste.
Die weißen Kopfhörerkabel, das besondere Distinktionsmerkmal des iPods von Anfang an, waren endgültig zum Alltagsgegenstand geworden und zeigten auf gewisse Weise, dass die Träger sich überteuerte und überflüssige Luxusgüter leisten und sich ein Raub womöglich lohnen könnte – in den Anfangszeiten des iPod trugen dessen Besitzer in manchen Gegenden lieber unauffälligere Hörer.
Die Gegenwart ist drahtlos
Nun wachsen uns keine Kabel mehr aus den Ohren, dafür scheinen aber immer mehr Leute morgens nach dem Zähneputzen die Bürstenköpfe von ihren Elektrobürsten ab- und ihre Ohren reinzustecken – aber der Schein trügt. Auch die Airpods hatten vor fünf Jahren reichlich Spott abbekommen, da sie aber von Anfang an für jedweden Musikplayer mit Bluetooth geeignet sind, ist zumindest Apples Konkurrenz das Lachen im Halse stecken geblieben. Nur für den originalen iPod, von dem sicher irgendwo da draußen noch vereinzelte Exemplare ihren Dienst verrichten dürften, sind die Must-Have-InEars nicht geeignet, so ganz ohne Kabel.
Erneut hat Apple mit den Airpods einen Nerv getroffen. Es gibt zwar auch jede Menge anderer tauglicher True-Wireless-Lösungen, bei denen der Ohrhörer zu einem Knopf im Ohr schrumpft, aber das Design mit Stiel hat eben Stil (sorry für den Kalauer). Von plumpen Nachahmungen, die den Straftatbestand des Betrugs erfüllen bis hin zu "sklavischen Kopien", wie Steve Jobs es nennen würde, zu sehr gut tauglichen Lösungen, die ebenso einen Premiumpreis tragen: Nicht die Augen der Mitmenschen haben Stiele bekommen, sondern die Ohren. Jetzt reicht es aber mit den Flachwitzen.
Der letzte seiner Art
Werden wir lieber wieder etwas ernster, denn der iPod ist kurz vor seinem 20sten Geburtstag von uns gegangen. Nach der letzten Keynote am Montag und der damit verbundenen Überarbeitung des Apple Online Store ist auch der letzte seiner Art aus der Navigation von apple.com verschwunden. Den zuletzt 2019 mit A10 aktualisierten iPod Touch findet man zwar noch, wenn man ihn sucht, aber Apple hat ihn gut versteckt. Damit ist vermutlich auch die Frage beantwortet, was denn mit dem iPod Touch passieren wird. Die Antwort lautet: Apple lässt ihn langsam aussterben, weil es keine vernünftige Antwort mehr auf die Frage gibt, wer denn den iPod Touch kaufen soll, eine Art iPhone SE der ersten Generation, mit dem man nicht telefonieren kann.
Das Prinzip iPod lebt aber weiter, seitdem das iPhone als "drei Geräte in einem" im Jahr 2007 Premiere feierte, als "Telefon, iPod mit Breitbildtouchscreen und bahnbrechendes Internetgerät". In der Zwischenzeit sind noch ein paar Geräte mehr hinzugekommen, wie ein Navigationsgerät, eine Kamera und ein Gesundheitsmonitor, dafür aber heißt die für Musik zuständige App schon lange nicht mehr "iPod" wie in den Jahren seit 2007, sondern "Musik".
Der iPod und das, was ihm wurde, zeigt aber sehr gut, dass für Firmen der IT-Branche gilt, dass Tradition nicht das Bewahren der Asche bedeutet, sondern das Weitergeben des Feuers. Und das iPhone ist mehr denn je "on fire" und wird seinerseits den Zwanzigsten in ein paar Jahren nicht in der Nische respektive Gruft verbringen, in der der iPod heute steckt. Im Jahr 2027 wird das iPhone aber vermutlich schon neidisch auf das blicken, was es bald ablösen, respektive überflüssig machen wird. Das hat bei Apple gute Tradition. (Macwelt)