Use Case Rexel

Was SD-WAN in der Praxis bringt

18.03.2020
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Software Defined WANs (SD-WANs) gelten im Cloud-Zeitalter als eines der Netzkonzepte der Zukunft. Das Beispiel des Elektrogroßhändlers Rexel aus München zeigt, was der Wechsel auf SD-WAN wirklich bringt.
Die Just-In-Time-Lieferung von elektrotechnischen Komponenten gehört zum Business des Münchner Distributors Rexel.
Die Just-In-Time-Lieferung von elektrotechnischen Komponenten gehört zum Business des Münchner Distributors Rexel.
Foto: Jat306 - shutterstock.com

Morgens um sieben Uhr auf einer Baustelle in Deutschland: Für die Elektriker steht die Hausverkabelung und die Installation der Smart-Home-Komponenten auf dem Plan. Dass die Arbeiten pünktlich beginnen können, ist auch ein Verdienst der Münchner Rexel Germany GmbH, die vormals zur HAGEMEYER-Gruppe gehörte. Der Elektrogroßhändler, der hierzulande rund 1.300 Mitarbeiter beschäftigt, gehört seit 2008 zur französischen Rexel Group. Diese unterhält in 26 Ländern ungefähr 2.000 Geschäftsstellen und erwirtschaftet mit 27.000 Mitarbeitern über 13 Milliarden Euro Umsatz.

Der Distributor mit 31 Niederlassungen und vier Logistikzentren in Deutschland beliefert Handel, Handwerk und Industrie mit bis zu 300.000 unterschiedlichen elektrotechnischen Komponenten. Dabei reicht das Portfolio vom Kabel über Klemmen und Regelungstechnik bis hin zu komplexen digitalen Produkten, etwa für Smart Homes und andere Anwendungen.

IT bei Rexel - vom Techniker zum Business Manager

Diese Produktvielfalt und die logistische Herausforderung der Just-In-Time-Lieferung auf Baustellen in Neubaugebieten, die noch in keinem Navi oder Routenplanungssystem erfasst sind, kann das Unternehmen nur mit Hilfe moderner IT meistern. Denn die Kunden erwarten nicht nur einen Webshop, in dem sie alle Produkte online ordern können, sondern angesichts der immer komplexer werdenden Technik auch entsprechende Produktbeschreibungen oder Anleitungen sowie Produktvergleiche. Und, um etwa den Arbeitseinsatz auf Baustellen planen zu können, ist natürlich ein Bestell-Tracking gewünscht. Darüber hinaus wünschen die Kunden Informationen und Interpretationen, wie die zahlreichen Vorschriften und Normen für die Elektroinstallation in der Praxis mit den entsprechenden Produkten anzuwenden sind. Da die Rexel-Klientel nicht zu den typischen Office-Workern zählt, müssen die Anwendungen zudem unterwegs als Apps für Smartphones oder Tablets verfügbar sein. Ferner hat die IT in Verbindung mit Warenwirtschaftssystem und Logistik sicherzustellen, dass Aufträge pünktlich an die Kunden geliefert werden.

Damit ist die IT für Rexel geschäftskritisch. Entsprechend hoch ist denn auch der Stellenwert der IT auf Executive-Ebene. "Fällt unsere IT aus, dann steht unser Geschäft", unterstreicht Wolfgang Tomischek, Abteilungsleiter ICT-Services bei Rexel.

IT für das Business: Per Rexel-App erhalten die Kunden Informationen zu den aktuellen Vorschriften und Normen der Elektroinstallation.
IT für das Business: Per Rexel-App erhalten die Kunden Informationen zu den aktuellen Vorschriften und Normen der Elektroinstallation.
Foto: Rexel

Dieser hohe Stellenwert der IT hat sowohl organisatorische als auch technische Konsequenzen, denn mit dem klassischen IT-Selbstverständnis ließen sich die sich stetig verändernden Erwartungen der Kunden nicht erfüllen. "Die IT-Techniker, die sich hervorragend mit SAN, LWL und Ähnlichem auskannten, mussten sich zu Business-IT-Managern entwickeln", beschreibt IT-Leiter Tomischek den Change-Prozess, der hinter der 30-köpfigen IT-Mannschaft liegt. Dazu gehört auch, dass diese sehr eng mit den Fachbereichen zusammenarbeitet, um frühzeitig zu erkennen, was informationstechnisch zur Unterstützung der Geschäftsprozesse benötigt wird. Zudem setzen sich die IT-Mitarbeiter einmal im Jahr mit Logistik, Vertrieb und Endkunden auf den Baustellen zusammen, um vor Ort zu diskutieren, wie der Service weiter verbessert werden kann oder welche neuen Anforderungen seitens der Kunden entstehen. "Eine Vorgehensweise, die sich bewährt hat und aus der bereits etliche neue Projekte entstanden", zieht Tomischek Resümee.

Rexel setzt auf SD-WAN und Serverless Computing

Diese Ausrichtung der IT-Abteilung auf das Business hatte bei Rexel natürlich Auswirkungen auf die technische IT-Infrastruktur, da die Mitarbeiter nicht mehr für die klassischen IT-Aufgaben zur Systembetreuung zur Verfügung stehen. Deshalb entschloss man sich bei Rexel, nur noch Serverless-Standorte zu betreiben. Ebenso wurden die TK-Anlagen in Rente geschickt und die Telefonie über VoIP per Softclient als Managed Service mit Unify realisiert. In Sachen Software setzt Rexel unter anderem auf die Azure Cloud, OneDrive sowie Office365.

Die Orientierung in Richtung Cloud und weg von Servern und klassischer IT-Technik hatte noch eine andere Konsequenz. Das WAN entwickelte sich zum neuralgischen Punkt, der einen potenziellen Single Point of Failure darstellte. Zudem war das WAN, Rexel setzte hier auf eine MPLS-Infrastruktur mit 10 Mbit/s, dem Cloud-bedingt rasant wachsenden Datenaufkommen nicht mehr gewachsen. Der Gedanke, das vorhandene MPLS-Netz upzugraden, wurde verworfen, da die Kosten zu hoch gewesen wären. Zudem suchte Rexel nach einer WAN-Lösung die nicht nur kostengünstig, sondern auch flexibler und besser skalierbar ist als MPLS. Gleichzeitig wollte man aufgrund der immensen Bedeutung der WAN-Verbindungen eine zweite Weitverkehrsverbindung, um so künftig ein Backup zu haben. US-Kollegen in der Rexel Group brachten das Münchner Team auf die Idee, ein Software Defined WAN (SD-WAN) als zusätzliche WAN-Infrastruktur in Erwägung zu ziehen.

Eine flexiblere und besser skalierbare Netzlösung erwartet sich Rexel vom Software Defined Networking.
Eine flexiblere und besser skalierbare Netzlösung erwartet sich Rexel vom Software Defined Networking.
Foto: Funtap - shutterstock.com

Ein Idee, die bei tiefergehender Analyse ihren Charme hatte. Das klassische MPLS-Netz, mit dem man in der 15-jährigen Zusammenarbeit mit BT in Deutschland positive Erfahrungen gesammelt hatte, könnte so in seiner bisherigen Form weiterbestehen und als dedizierte Verbindung für den internen Datenverkehr mit sensiblen Informationen genutzt werden. Über das Software Defined WAN könnte dagegen weniger kritischer Verkehr kostengünstig und flexibel über das Internet geleitet werden. Ferner sollten über das SD-WAN die Cloud-Dienste bereitgestellt werden. "Die neue, hybride Lösung sollte uns mehr Flexibilität und Steuerungsmöglichkeiten geben sowie besser skalieren. Ferner sollte sie uns helfen, gleichzeitig die Kontrolle über die Kosten zu behalten", fasst Tomischek die Anforderungen an das Lastenheft zusammen. Um einen Hardware-Austausch zu vermeiden und aufgrund der guten Erfahrungen sollte beim SD-WAN-Aufbau wiederum BT zum Zuge kommen.

SD-WAN-Technik vs. Breitbandversorgung

Nachdem das neue Netzdesign ausgetüftelt war, konnten die beiden Partner mit der Umsetzung beginnen. Letztlich dauerte die Realisierung des Projektes dann doch über ein Jahr, denn die Unternehmen hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht: So bereitete die verwendete SD-WAN-Technik - zum Einsatz kommt Connect Meraki von Cisco - bei der Projektumsetzung keine Probleme, dafür schlug die Breitband-Diaspora Deutschland umso erbarmungsloser zu. Mal konnten die versprochenen Bandbreiten dann doch nicht geliefert werden, mal verzögerte sich die Bereitstellung der zugesagten Breitbandanschlüsse grundsätzlich und es musste auf LTE als Zwischenlösung ausgewichen werden.

Herausforderungen, die das Rexel-IT-Team gemeinsam mit BT meisterte. Heute besitzt Tomischek die gewünschte flexible Infrastruktur und kann mit Load-Balancing auf veränderte Anforderungen reagieren. Zudem konnte das interne MPLS um mehr als 20 Prozent entlastet werden. Das Management des SD-WANs teilen sich BT und Rexel. Über ein Self-Service-Portal kann die IT-Mannschaft bei Rexel für jede ihrer Geschäftsanwendungen festlegen, welche Verbindung genutzt werden soll. Zudem bietet das Portal einen Überblick über die Datenströme im Netzwerk. "Insgesamt haben wir einen deutlich transparenteren Überblick über unser Netz und wissen, was wo geschieht", fasst Thomas Spannbauer, Teamleiter Infrastructure & Security, die praktischen Erfahrungen zusammen. Dazu tragen auch die genutzten Managed Security Services - einschließlich hardware- und softwarebasierter Firewalls bei, die ein integraler Bestandteil des neuen Netz-Designs sind. Überzeugt vom Netz-Management-Prinzip der von BT verwendeten Meraki-Technologie, will man diese bei Rexel künftig auch im LAN verwenden.

Die SD-WAN-Erfahrung bei Rexel

Unter dem Strich ist IT-Leiter Tomischek mit der Entscheidung, in Sachen Weitverkehrsnetz mit MPLS und Software Defined WAN zweigleisig zu fahren, zufrieden. So konnte etwa die Ausfallrate im Vergleich zu früher um 90 Prozent reduziert werden. Und was für Tomischek fast noch wichtiger ist: "Äußerungen wie 'Die IT kann eh nicht liefern' sind heute kein Thema mehr." Denn mit der Einführung der SD-WAN-Infrastruktur gewann Rexel nicht nur mehr Flexibilität, sondern konnte auch die Inbetriebnahme neuer Standorte und Vertriebsbüros deutlich beschleunigen. Was früher ein halbes bis ein ganzes Jahr dauerte, wird jetzt in ein bis zwei Monaten bewältigt.

Der Erfolg hat sich bis nach Frankreich herumgesprochen. Aufgrund der positiven Erfahrungen, die Rexel Deutschland in Sachen Software Defined WAN gemacht hat, überlegt die Rexel Group, das Konzept konzernweit einzuführen.