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Industrie 4.0: Vogel Strauß gilt nicht

13.11.2014
Von 
Uwe Küll ist freier Journalist in München.

Forschung zum Frühstück

Die IHK München und Oberbayern engagiert sich für den Know-how-Transfer im Zusammenhang mit Industrie 4.0. Gemeinsam mit der Technischen Universität München lädt sie zu Veranstaltungen ein wie etwa zu einer Demonstration des Modellversuchs "Joghurtproduktion mit cyber-physischen Produktionssystemen". Dabei zeigt Professor Birgit Vogel-Heuser vom Lehrstuhl für Automatisierung und Informationssysteme an der TU München, welche Möglichkeiten Industrie 4.0 für die Automatisierungstechnik und deren Umsetzung bietet. Die Besucher erfahren, wie ein Produktionsnetz aus Anlagen an der TU München, der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg und der Universität Stuttgart typische Szenarien in realen Produktionsunternehmen abbildet und mit Elementen der Industrie 4.0 innovative Lösungen bietet.

Das erste dieser Szenarien ist die Auftragserfassung für einen kundenspezifischen Joghurt mit Hilfe eines plattformunabhängigen Kunden-Interface. Dabei kann der Besteller zwischen einer Vielzahl unterschiedlicher Parameter wählen wie zum Beispiel der Bechergröße, dem Geschmack, dem Topping und weiteren Auswahlkriterien. Der so erstellte personalisierte Auftrag geht an einen Hersteller, der Angebote der angeschlossenen Anlagen einholt und basierend auf den Kundenanforderungen die am besten geeigneten Anlagen auswählt. Dabei werden die eingegebenen Daten in Teilaufträge umgewandelt und so auf die angeschlossenen Anlagen verteilt, dass sie möglichst effizient und kostengünstig oder - wenn der Kunde es wünscht - auch energieoptimiert erledigt werden. Im laufenden Produktionsprozess ist sowohl die permanente Überwachung möglich als auch die Diagnose im Fehlerfall, die Optimierung von Prozessen und nötigenfalls auch eine Rekonfiguration von Anlagen. Sämtliche Einzelschritte des Planungs- und Steuerungsprozesses laufen automatisiert in einem lose gekoppelten Netz ab.

Den Nutzen der Demonstration, die auf einer ohne öffentliche Fördermittel gestarteten Initiative einiger Hochschullehrer beruht, beschreibt Vogel-Heuser so: "Bei der Beschäftigung mit unserem Modellversuch haben wir viele Punkte erkannt, die wissenschaftlich noch geklärt werden müssen. Konkret haben wir Schwachstellen in den Modellen zur Beschreibung von Prozessen, Produkten und Ressourcen entdeckt, mit denen wir in dieser Konsequenz nicht gerechnet hatten. Hier besteht noch erheblicher Forschungsbedarf, um Industrie 4.0 realisieren zu können. Das heißt: Wir wissen jetzt, wo wir weiterforschen müssen. Darüber hinaus ist es natürlich wichtig für unsere Wirtschaft, dass wir dieses große Thema Industrie 4.0 für Firmen aller Größenordnungen greifbar machen. Auch dabei hilft der Demonstrator, weil er den Verantwortlichen in den Unternehmen zeigt: Was da passiert unter der Bezeichnung Industrie 4.0, das ist durchaus kompatibel zu dem, was in vielen Unternehmen täglich abläuft."

Vogel-Heuser und ihre Kollegen haben von Anfang an darauf geachtet, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit auch mit bestehenden Infrastrukturen in Produktionsunternehmen vereinbar sind. Einen vorbestimmten Weg in die digitalisierte Produktion gebe es nicht: "Industrie 4.0 ist im Grunde ein Baukasten, aus dem Unternehmen die jeweils für ihr Unternehmen passenden Elemente auswählen."

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Für Wolfgang Dorst erfüllen Demonstrationsfabriken und Modellversuche von Universitäten eine wichtige Funktion bei der Entwicklung von Industrie 4.0 und beim branchenübergreifenden Transfer des benötigten Fachwissens. Zwar liege die Verantwortung für die Beschäftigung mit zukunftssichernden Innovationen bei den Unternehmen selbst, doch müssten Wissenschaft und Forschung, Politik und Verbände alles tun, um die dafür nötigen Informationen bereitzustellen.

Dorst verweist in diesem Zusammenhang auf zahlreiche weitere Forschungsprojekte wie etwa "CyProS" (Cyber-Physische Produktionssysteme) und "KapaflexCy", die beide vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden: "Bei CyProS beschäftigt sich eine Vielzahl von Partnern aus Wissenschaft und Industrie mit der Entwicklung und Umsetzung einer Referenzarchitektur für Cyberphysikalische Systeme (CPS). KapaflexCy untersucht, was soziale Medien im gewerblichen Umfeld leis-ten können. Beide Projekte zeigen laut Dorst die große Bandbreite der Forschungsthemen im Rahmen von Industrie 4.0.

Angesichts der zahlreichen Möglichkeiten für Unternehmen, sich an Forschungsprojekten zu beteiligen, fordert Analyst Zilch mehr Initiative von den Entscheidern: "Eine Untersuchung der Experton Group bei rund 370 Firmen hat gezeigt, dass bislang nicht einmal die Hälfte über Industrie 4.0 nachdenkt geschweige denn konkrete Schritte unternimmt. Und die IT beteiligt sich nur bei einem Drittel der Firmen, die sich mit dem Thema befassen. Natürlich ist es schwierig, sich neben den Anforderungen des Tagesgeschäfts über neueste Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Umso wichtiger ist es, die bestehenden Informationsangebote zu nutzen und auf bereits vorhandene Erkenntnisse und Erfahrungen aufzubauen."

Als Beispiele führt Zilch vor allem die Forschungsprojekte im Umfeld der Hochschule Ostwestfalen-Lippe mit dem Technologienetzwerk "it`s OWL" an: "Wenn man sieht, wie praxisorientiert dort etwa zur digitalen Vernetzung von Maschinen und Anlagen geforscht wird, gibt es wirklich keine Entschuldigung mehr für falsche Zurückhaltung beim Thema Industrie 4.0."