Von API bis Two-Speed-IT

Glossar für die digitale Transformation

01.02.2017
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Digitaler Darwinismus

Der Begriff Digitaler Darwinismus geht auf einen gleichnamigen Bestseller von Karl-Heinz Land zurück. "Unter 'Digitalem Darwinsmus' verstehen wir, wenn sich Technologie und Gesellschaft schneller ändern, als Unternehmen in der Lage sind, sich daran anzupassen", schreibt der Autor. Ausgehend von der Erkenntnis, dass wir nach den ersten beiden Industriellen Revolutionen Mitte des 18. und Ende des 19. Jahrhunderts nun in der dritten "Digitalen Revolution" stecken, mahnt Land, dass nur Unternehmen mit einer hohen Anpassungsfähigkeit mit den Herausforderungen fertig werden können ("Adapt or Die"). Entsprechend heißt der Untertitel seines Buchs: "Der stille Angriff auf Ihr Geschäftsmodell und Ihre Marke".

Laut Land bleibt in Zeiten der Digitalisierung nichts wie es war: "Dieser Tsunami stellt einen Angriff auf Geschäftsmodelle, Vertriebskonzepte, Marketing, Kommunikation, Service, Marktforschung sowie generell auf die Art und Weise dar, wie wir mit Kunden und auf Märkten interagieren und Unternehmen führen." Lesenswerte Bücher zum Digitalen Darwinismus verfassten auch Tim Cole mit "Digitale Transformation: Warum die deutsche Wirtschaft gerade die digitale Zukunft verschläft und was jetzt getan werden muss! ", Christoph Keese mit "Silicon Valley" und Tobias Kollmann und Holger Schmidt mit "Deutschland 4.0: Wie die Digitale Transformation gelingt".

Digital Lab / Innovation Lab

Während mit Accelerator-Programmen unternehmensfremde Startups angelockt, aufgebaut und gebunden werden sollen, geht es bei den Digital Labs oder Innovation Labs darum, kreative Freiräume für eigene Mitarbeiter zu schaffen. Die unternehmensinternen Denkfabriken sollen wie Startups agieren und unbelastet von Konzernzwängen die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ergänzen und herausfordern. Die Analysten von Crisp Research aus Kassel zählen über 60 Digital Labs in Deutschland, deren Aufgabe darin besteht digitale Produktideen und neue Geschäftsmodelle zu generieren.

Digital Labs werden oft mit einem Mix aus kreativen Mitarbeitern unterschiedlicher Abteilungen besetzt. Software-Entwickler, IT-Architekten, Produkt-Designer sitzen an einem Tisch und brüten neue Ideen aus. Nicht immer ist es einfach, dabei die Erwartungshaltung der Vorstände zu managen: Innovationen kommen nicht auf Knopfdruck, andererseits muss man sich ein Digital Lab erstmal leisten können. Gut beraten sind Geschäftsführer, die sich an der Startup-Szene orientieren: Wer dort Venture Capital investiert, muss bei zehn Investments mit fünf Totalausfällen rechnen, weitere drei Projekte entwickeln sich lediglich durchschnittlich und nur zwei werden ein Erfolg.

Schon 2014 hat die Rewe Group die Geschäftseinheit Rewe Digital gegründet, ein Innovationslabor mit 400 Mitarbeitern. Dort tüfteln Entwickler, Vertriebler und Marketingexperten gemeinsam an Lösungen für den erfolgreichen Online-Lebensmittelvertrieb. Wichtigste Erfolgsfaktoren sind laut Rewe die Zusammenlegung von Ideen- und Produktentwicklung mit Beteiligungsaktivitäten des Unternehmens zu einer Einheit und das Führen dieses Labs als Business-Unit mit Umsatzverantwortung.

Digitale Disruption

Die digitale Disruption bezeichnet die Zerstörung klassischer Geschäftsfelder durch digitale Einflüsse. Das vollzieht sich in nahezu allen Branchen und zwar mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Im Mediensektor etwa hat die digitale Disruption früh eingesetzt. In dem Maße, wie sich der Strom der Werbegelder ins Netz bewegte, wurden klassische Print-Medien durch digitale ersetzt und neue Online-Dependancen ins Leben gerufen.

Ähnliches passiert auch in anderen vertikalen Märkten: In der Touristikindustrie machen Online-Portale wie Expedia oder Priceline den klassischen Reisebüros seit langem das Überleben schwer. In der Energiewirtschaft und der Welt der Versicherungen sorgen Vergleichsportale wie Verivox oder Check 24 für mehr Preistransparenz, was für Versicherer Einbußen bei den Margen zur Folge hat. Gleichzeitig geraten hier die klassischen Vertriebskanäle unter Druck, da die Vergleichsportale auch einen Kaufabschluss ermöglichen.

Startups, sogenannte "Fintechs" übernehmen in der Finanzwelt teile der Wertschöpfungsketten, indem sie - strikt vom Kundenverhalten ausgehend - smarte Apps und Web-Dienste beispielsweise für die Kreditvermittlung, den Zahlungsverkehr oder das Portfolio-Management anbieten. "Insurtechs" mischen die Versicherungsgesellschaften auf, indem sie bestimmte Nischensegmente versichern oder neue Modelle auf der Basis von Peer-to-Peer-Ansätzen bieten. Legaltechs bieten Online-Rechtsberatung, helfen den richtigen Anwalt zu finden oder übernehmen typische Vorfälle, indem sie etwa unzufriedenen Pauschaltouristen oder Mietern helfen.

Auch die klassischen Branchen wie Automotive, Maschinen- und Anlagenbau oder Transport und Logistik stehen unter Druck. Das selbstfahrende Auto etwa wird federführend von Google und Uber entwickelt, Daimler und Volkswagen müssen sich von diesen Silicon-Valley-Playern vor sich hertreiben lassen. Tesla ist nicht nur der Vorreiter in Sachen Elektromobilität, Gründer Elon Musk hat auch einen Paradigmenwechsel eingeleitet. IT im Cockpit und innovative Digitaldienste sind nun genauso wichtig wie Antrieb und Fahrwerk.

Das Internet of Things sucht in Form der sogenannten Machine-to-Machine-Kommuikation die Maschinen- und Anlagenbauer heim. Sensor-bewährte Maschinen kommunizieren in Smart Factories miteinander sowie mit Menschen. Wer in diesem Markt Erfolg haben will, muss in der Lage sein, maschinell erzeugte Massendaten zu analysieren und daraus bessere Produkte, smarte Services und effektivere Prozesse abzuleiten. Auch die Logistik- und Supply-Chain-Wirtschaft nutzt Sensoren, um ihre Lager- und Transportprozesse zu verbessern. Ziele sind beispielsweise eine bessere Auslastung der Fahrzeuge, die Optimierung der Fahrwege und eine möglichst zeitnahe Lieferung.

Digital Marketing

Über kurz oder lang ist jeder Konsument ständig und überall über das Netz erreichbar - eine gewaltige Chance, aber auch eine Herausforderung für Marketiers. Sie müssen entscheiden, wie die eigenen Websites aussehen sollen, auf welchen Social-Web-Kanälen sie aktiv sein wollen, ob eine Video-Strategie - etwa mit einem eigenen Youtube-Kanal - sinnvoll ist, wie sie das Kundenverhalten nachvollziehen ("tracken") wollen und vieles mehr.

Mit Digital-Marketing-Verfahren lassen sich ganze Bücherwände und Speicherplatten füllen. Deshalb hier nur ein paar Grundlagen. Zu allererst ist die eigene Website das Aushängeschild für jedes Unternehmen. Sie muss übersichtlich gestaltet sein, schnell und auf möglichst allen Endgeräten in guter Optik laden (Responsive Design) sowie die wichtigsten Informationen über das Unternehmen enthalten - nicht zuletzt Kontaktdaten und Ansprechpartner. Geht es um die inhaltliche Detailtiefe, ist abzuwägen, ob ein Blog oder eine Social-Media-Fanpage etwa auf Facebook nicht zielführender ist.

Gelernt ist längst auch das E-Mail-Marketing: Unternehmen adressieren Interessenten mit Newslettern und messen, ob diese geöffnet wurden (Öffnungsrate), ob der Empfänger über einen Link auf die dafür vorgesehen Landing Page weitergeleitet werden konnte (Click-Through-Rate), wer sich an- und abmeldet hat und wie gut die "Conversion-Rate" ist. Letzteres meint in der Regel den konkreten Geschäftsabschluss.

Viele Firmen verfolgen heute gezielt Content-Marketing-Strategien und bieten ihren Kunden über Werbebotschaften hinweg auf den verschiedenen Kanälen nutzwertige oder interessante Inhalte wie Tutorials oder Ratgeber-Videos an, die oft nur mittelbar mit dem Produkt- oder Serviceangebot zu tun haben. Diese Content-Strategie wird meist von einer SEO-Initiative (SEO = Search Engine Optimization oder Suchmaschinen-Optimierung) begleitet oder von einer Social-Web-Initiative, um möglichst viele interessierte Konsumenten auf das Inhalteangebot zu lotsen. Dort gilt es dann, Leads zu generieren oder wertvolle Nutzerprofile für weitere Marketingaktionen zu sammeln.

Einer kleinen Revolution im Online-Marketing kommt das sogenannte Programmatic Advertising gleich, das den klassischen Ein- und Verkauf von Banner-Werbung zunehmend ersetzt. Marketiers können Werbeflächen auf relevanten Websites, die ihre Zielgruppen adressieren, vollautomatisch und in Echtzeit einkaufen. Im Hintergrund läuft ein Auktionsprozess, bei dem der Höchstbietende in Millisekunden zum Zuge kommt und einen Werbeplatz mit seiner Banner-Werbung zeitlich begrenzt befüllen darf.

Den Auktionsteil dieses Werbeverfahrens beschreibt das sogenannte Real Time Bidding, bei dem Werbetreibende vor dem Start einer Kampagne festlegen, welchen Betrag sie zu zahlen bereit sind, damit ihre Kampagnen auf bestimmten Websites ausgespielt werden. Die Steuerung erfolgt über einen Adserver, der automatisiert immer die Werbung des Höchstbietenden auf den verschiedenen Seiten anzeigt und der Erfolg misst.

Beim Bietprozess entscheidet heute nicht mehr nur der Werbeplatz, sondern auch die "Qualität des Users", der mit gezielter Online-Werbung über verschiedene Webseiten hinweg verfolgt werden kann. Das Prinzip folgt dem Gedanken, dass Menschen, die sich bereits für etwas interessiert haben, heiße Kandidaten für einen Kauf sind und deshalb häufiger adressiert werden müssen, damit es zu einer Conversion kommt. Technisch funktioniert das, indem Webshops dem Besucher einen Retargeting-Cookie mitgeben, der einen Verweis auf dessen im Adserver gespeicherten Nutzerdaten enthält. Landet der Surfer auf einer Seite, auf der Werbung über den gleichen Adserver geschaltet wird, kann der Cookie ausgelesen und gezielt die passende Werbung ausgespielt werden.

Schließlich sei auch noch das sogenannte Affiliate Marketing erwähnt, dass sich auch als Provisionsgeschäft bezeichnen lässt und sich derzeit rasant verbreitet. Stellen Sie sich vor, Sie besuchen eine Special-Interest-Site, die sich mit Wohnungseinrichtungen beschäftigt, und finden dort verlinkte Produkt- oder Markennamen vor. Klicken Sie darauf, geraten Sie auf den Shop von einem Händler oder Anbieter. Für diese Vermittlung lässt sich der Affiliate bezahlen. Kommt es gar zum Kauf, wächst der Betrag, den der Shopbetreiber überweist. Die Links sind durch einen individuellen Code gekennzeichnet, damit der Händler erkennen kann, welcher Vermittler ihm Aufträge beschert hat.