Vor drei Jahren war die Idee, ein Magazin in eine App fürs Tablet zu verpacken, noch ein Prestige-Objekt von Technologie-Vorreitern wie dem amerikanischen Magazin "Wired", das schon kurz nach dem ersten iPad-Release als digitale Ausgabe zu haben war. Digitale Magazine fanden zu der Zeit zwar viel Beachtung, aber noch wenig Leser und waren eher Zukunftsinvestitionen von Verlagen. "Inzwischen ist daraus eine richtige Industrie entstanden", sagt Nick Bogaty, Marketingverantwortlicher in Adobes Digital-Publishing-Sparte. Der für seine Pre- und Postproduction-Software bekannte Hersteller entwickelte früh die notwendige Technologie und Infrastruktur für die Gestaltung und Veröffentlichung von Inhalten auf Tablet-Magazinen und ist Marktführer in den Bereich.
Daneben gibt es kleinere Alternativen wie das von Apple kostenlos vertriebene iBooks Autor, das vor allem auf Lehrbücher zielt, jedoch auf iPad und andere iOS-Geräte beschränkt ist. Für Apple ist die Plattform iBooks Author eher ein Vehikel, um das iPad im Bildungsbereich weiter zu verbreiten. Nach Angaben von Adobe werden 80 Prozent der umsatzstärksten Magazin-Apps, die in der Zeitungskiosk-App auf dem iPad zu finden sind, mit der hauseigenen "Digital Publishing Suite", kurz DPS, produziert. Diese Komplettlösung für den Einstieg ins Tablet-Publishing gibt es derzeit in drei Varianten: von der einigermaßen erschwinglichen Single-Edition für Einzelprojekte bis hin zur Enterprise-Edition für große Unternehmen.
Handfeste Zahlen statt Studien
Da die Magazine als so genannten Folio-Dateien über Server von Adobe heruntergeladen werden, kann Adobe auch handfeste Zahlen nennen, wie gut sich die digitalen Ausgaben inzwischen verkaufen. Auf dem Digital Publishing Summit in Hamburg war zu erfahren, dass die Nachfrage rapide steigt. Waren es im Jahr 2011 gerade einmal 40.000 Downloads, werden heute bereits rund 2 Millionen Folio-Dateien pro Woche ausgeliefert - insgesamt macht das über 125 Millionen Downloads. Die wichtige und gute Nachricht für die Publisher: Etwa 80 Prozent der Publikationen waren kostenpflichtig - das Publikum ist also im Gegensatz zum Web, wo sich Bezahlinhalte nur schwer an den Mann bringen lassen bereit, den Geldbeutel aufzumachen. "Das sind keine Daten, die auf Studien basieren, sondern echte Download- und Umsatzzahlen", so Bogaty. Kein Wunder also, dass große Medienmarken ihre Magazine per App einzeln verkaufen oder als digitales Abo anbieten: in den USA beispielsweise Vanity Fair, Vogue, GQ oder Newsweek, in Europa Stern, Focus oder die Frankfurter Rundschau. Adobe bietet in seiner DPS Gallery eine Übersicht der bisher realisierten Projekte. Hier finden sich auch viele Interviews mit den Machern, Demos, sowie Inspiration fürs eigene Projekt.
- Zeitungskiosk
Der Zeitungskiosk auf dem iPad ist inzwischen gut gefüllt mit Zeitschriften aus allen Bereichen. - Social Media
Inhalte aus Artikeln können per Social Media geteilt werden. - Multi-Device
Digitale Magazine sind längst nicht mehr nur ein Thema fürs Tablet. - Empire 1
Die britische Filmzeitschrift "Empire" bindet animierte Titelbilder... - Empire 2
... zur Einstimmung aufs Heft ein. - neues Folio
Mit dem Layout-Programm Adobe InDesign können die Foliodateien gestaltet und veröffentlicht werden. Das Programm bringt Einstellungen für verschiedene Tablet-Formate mit. - Folio Overlays
Die Palette Folio Overlays kümmert sich um die Interaktiven Inhalte, die nur zusammengeklickt und eingestellt werden müssen. - iBooks Author
Das kostenlose iBooks Author von Apple bietet sich in erster Linie als Lehrprogramm an. - Viewer
Die Viewer App bietet alle Funktionen zum Lesen, Kaufen, Abonnieren und Herunterladen von digitalen Zeitschriften.
Digitale Magazine erobern B2B und Bildung
Die Gallery belegt zudem ein Phänomen, mit dem Adobe selbst nicht gerechnet hätte: DPS ist nicht nur in den Verlagen erfolgreich, sondern auch in Bereichen, für die es gar nicht gedacht war. Präsentationen im B2B-Bereich für Intern und Extern, Kataloge, Geschäftsberichte, Lehrbücher im Bildungsbereich und vieles mehr werden heute gern per DPS umgesetzt. Zum Beispiel präsentiert Airbus seine Flugzeugmodelle via digitalem Magazin bei Kunden. Wie aber kommt es, dass in diesen Bereichen nicht nur Print, sondern auch Powerpoint Konkurrenz bekommt? "Digitale Magazine sehen oft einfach edel aus", erklärt Bogaty den Trend. Das fängt schon bei Abbildungen an. Großformatige Fotos wirken auf den meist qualitativ sehr guten Tablet-Monitoren leuchtender und sehen einfach besser aus, als wenn sie für Print in den CMYK-Farbraum reduziert und gedruckt werden. Dazu kommt die Interaktivität: Bildschirmfüllende Diashows, Animationen, Videos, Sounds, drehbare 3D-Objekte, Links ins Internet und integrierte Verknüpfungen in Soziale Medien sind nur einige Elemente, mit denen die Macher ihre Publikationen auf dem Tablet interessanter gestalten können.
Inzwischen hat Adobe seine Technologie zu einem Multi-Endgerät-Produkt ausgebaut und ist nicht mehr nur aufs iPad beschränkt. Die Magazine lassen sich auf dem PC, iPhone, Android-Tablet oder -Smartphone, Kindle Fire - also praktisch jedem Endgerät - mitnehmen.
Erfolgsfaktor Interaktivität
Wer aber meint, dem Leser reiche eine exakte Kopie der Printausgabe - also beispielsweise ein "totes" PDF auf dem iPad - liegt daneben. Erwartet wird zunehmend ein ganz neues Leseerlebnis. Das belegt die Entwicklung der digitalen Ausgabe des BBC-Automagazins Top Gear. In den ersten drei Monaten nach dem Wechsel von einem klassischen PDF auf ein eigens gestaltetes, interaktives Magazin, stiegen die Downloads um 50 Prozent, die bezahlten sogar um 62 Prozent. Es gab 160 Prozent mehr Abo-Umsatz und doppelt so viele Anzeigenumsätze. Auch nicht unwichtig: Die Leser verbringen dreimal soviel Zeit mit dem Magazin wie vorher (die Lesezeit lässt sich in digitalen Magazinen übrigens direkt messen).
Selbstverständlich sind Zeitaufwand und Kosten für die Herstellung eines interaktiven Magazins höher. Zunächst braucht es ein gutes Konzept, das mit der Auswahl der Inhalte beginnt, denn nicht alles aus der Printausgabe ist medienadäquat. Manche Artikel wiederum lassen sich mit Bildergalerien deutlich ausführlicher und interessanter gestalten. Die britische Filmzeitschrift "Empire" setzt zum Beispiel gekonnt animierte Titelbilder und Soundeffekte ein, die perfekt auf das Heft einstimmen oder bietet in Artikeln gleich Links zu Filmtrailern.
Produktion mit gewohnten Tools
Die gute Nachricht ist jedoch, dass die Produktion digitaler Magazine komplett in gewohnter Umgebung und mit angestammtem Personal gestartet werden kann. Bei "App" und "Tablet" denken viele an Programmierer; tatsächlich aber können die Layouter und Redakteure, die Erfahrung mit den Inhalten haben, die Tablet-Ausgaben selbst gestalten. Zum Einsatz kommt hier das in vielen Verlagen und Publishern schon genutzte Layoutprogramm InDesign. Statt Printlayout legt man Seiten in den Pixelmaßen fürs Zielgerät an - InDesign CC bringt die Voreinstellungen für iPad, Kindle Fire & Co. gleich mit. Danach lassen sich wie gewohnt Layouts gestalten und in die Folio-Datei - eine Art Sammelmappe für die Artikel - einfügen. Die Interaktivität kommt über eine zusätzliche Palette, den Folio Overlays, dazu.
Für die Gestaltung einer interaktiven Diashow reicht es zum Beispiel, den Zielordner mit den Bildern auszuwählen und zu bestimmen, ob sich der Leser durchklicken oder die Bilder mit einer Verzögerung von x Sekunden sehen soll. Eine Programmierung auf Code-Basis ist nicht notwendig, auch die Entwicklungsarbeit für eine Reader-App entfällt. Die Digital-Publishing-Suite bringt in "Adobe Viewer" eine Leseapp mit, die die Standardelemente zum Blättern in der Zeitschrift sowie die Oberfläche zum Herunterladen, Kaufen und Abonnieren der Ausgaben dabei hat. Nicht unwichtig: Das Erscheinungsbild des Viewers lässt sich mit einem eigenen Branding versehen.
Auch das Testen ist unkompliziert: Auf dem iPad und anderen mobilen Endgeräten kann die Ausgabe direkt in Aktion ausprobiert werden. In InDesign hilft eine Vorschaufunktion. Wenn alle interaktiven Elemente wie gewünscht funktionieren, kann die Ausgabe an den Dienstleister für den Verkauf - den iOS App Store oder Google Play - übergeben werden. Auch das Hochladen auf den Server klappt direkt aus InDesign.
Neue Vermarktungs-Modelle für Web-Inhalte
Laut Nick Bogaty steigen immer mehr Web-Publisher in DPS ein, da sie sowohl das Publikum als auch die Inhalte besitzen - darüber hinaus das Know-How für die richtige Interaktivität, aber eben das Problem der vergleichsweise niedrigen Werbeeinahmen. Die Vermarktung von Apps bietet einen neuen Kanal zur Monetarisierung. Adobe arbeitet aktuell daran, populäre Content-Management-Systeme wie Wordpress und Drupal an DPS anzubinden, um insbesondere die Web-Publisher für die Plattform zu begeistern. Für Werbepartner sind digitale Magazine ebenfalls hochinteressant: Wie gut die Magazine bei der Zielgruppe ankommen, lässt sich detailliert messen. Adobe bietet bereits Analytics Services an, die in der Lage sind, Sichtkontakte, Download-Zahlen einzelner Ausgaben sowie die Nutzung von interaktiven Inhalten wie beispielsweise Videos zu messen und daraus aussagekräftige Betrachterprofile zu erstellen. Für Content-Vermarkter sind das wertvolle Möglichkeiten, von denen Print-Magazine nur träumen können. (sh)