Big Data im Selbstversuch

Quantified Self oder die Lust an der Selbstvermessung

29.06.2015
Von 
Wolfgang Kobek ist VP EMEA beim Business Intelligence-Anbieter Qlik. Als früherer Geschäftsführer der DACH-Region hat er viele Unternehmen dabei unterstützt, die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Datenanalyse und -visualisierung umzusetzen. Er sagt: BI ist keine Nische, sondern bietet Vorteile gleichermaßen für den Mittelstand und Großkonzerne, für die Fertigungsindustrie ebenso wie den Dienstleistungssektor und natürlich sämtliche Fachabteilungen im Unternehmen.
Quantified Self entwickelt sich langsam zur Massenbewegung. Ob die tägliche Schrittzahl oder Kalorienmenge – bislang kommen die Beispiele vor allem aus dem Sport. Dahinter steckt meist der Wunsch nach verbesserter Gesundheit, manchmal aber auch nur der Spaß daran, sich mit anderen zu vergleichen. Bei den Unternehmen ist daher Umdenken gefragt, und das gilt für alle Branchen.

In den USA erfassen rund 60 Prozent der Erwachsenen ihr Gewicht, Ernährung und Training. 33 Prozent messen Faktoren wie Blutzucker, Blutdruck, Kopfschmerz oder Schlafmuster. Sportler nutzen Wearables, Smartphones, Smart Tattoos und Konsorten zur systematischen Echtzeit-Überwachung. Interessant dabei ist, dass es sowohl um qualitative als auch um quantitative Daten geht. Denn gesammelt werden sowohl die harten Messdaten - biologische, physikalische oder Umweltdaten - als auch die subjektive Erfahrung, die diese Daten verursachen. Eine spannende Sache, die einiges ausgelöst hat.

Ob die eigene Fitness messen, oder sich mit Freunden ein Duell liefern - Wearables bieten nicht nur im Sport neue Möglichkeiten.
Ob die eigene Fitness messen, oder sich mit Freunden ein Duell liefern - Wearables bieten nicht nur im Sport neue Möglichkeiten.
Foto: Microsoft

Ein Tech-Trend, der den Markt verändert

Zum einen ist sehr schnell ein boomender Markt entstanden, der fast täglich neue Geräte oder Software für Quantified Self hervor bringt: medizinische Geräte, Sensor-bestückte Armbänder, Headsets/Brillen, tech-sensitive Kleidung und vieles mehr. Zahllose Apps helfen bei der Erfassung und Analyse der Daten, denn Quantified Self Applikationen sollen dazu dienen, Verhalten langfristig zu verändern, indem sie Vergleichsdaten liefern und Anreize schaffen. Gamification hilft bei letzterem mindestens ebenso sehr wie der bei den Weight Watchers perfektionierte Austausch unter Gleichgesinnten.

Zum anderen hat sich die Art und Weise verändert, wie Konsumenten mit einer Marke interagieren - nämlich basierend auf Zahlen und Daten. Sie halten fest, was sie essen, wie sie sich bewegen und wie sie sich dadurch, dabei und danach fühlen. Unternehmen müssen daher neue Möglichkeiten finden, die Markenwahrnehmung selbst zu steuern. Nike hat hier Maßstäbe gesetzt: die Nike+ Move App erfasst die täglichen Aktivitäten, macht es aber auch möglich, sich über das Apple Game Center mit anderen Anwendern zu messen.

Vom Anwender lernen und profitieren

Verändert hat sich für Unternehmen aber auch die grundlegende Art und Weise, Daten über den eigenen Markt und die eigenen Produkte zu sammeln. Immer mehr Unternehmen bauen Sensoren in ihre Produkte ein - als Dienstleistung am Kunden, aber auch um das Konsumentenverhalten besser zu verstehen. Es kann durchaus sein, dass in Zukunft fast jedes Produkt Daten über seine Besitzer sammelt. Wie oder wann ein Produkt genutzt wird, ist eine wertvolle Information, die nicht nur für die Produktentwicklung interessant ist, die sich damit aufwändige und teure Marktforschung spart. Marketing und Sales können ihre Botschaften anpassen und neue Zielgruppen ansprechen.

Vor allem aber ist ein neuer Datenpool entstanden. In der Quantified Self-Bewegung liegen Datenschätze verborgen, die noch nicht ansatzweise entdeckt sind. Vielerlei Einsatzbereiche sind denkbar. Auf der Grundlage solcher Daten könnten sich ganze Präventivprogramme für bestimmte Erkrankungen entwickeln oder der Bedarf an Medikamenten langfristig bestimmen lassen. Die Daten wären von großem Wert beispielsweise für Versicherungen und der Gesundheitssektor. Ich könnte mir vorstellen, dass ein regelrechter Krieg entbrennt um die Plattformen, auf denen die Quantified Self-Daten gespeichert werden.

Die Masse gibt den Ton an

Ein interessanter Aspekt ist auch die Visualisierung der Daten. Viele User nutzen, was ihnen die Fitbits dieser Welt vorgeben. Andere haben sich selbst Konzepte gebastelt - und gerade hier habe ich eine sehr hohe Kreativität gesehen. Spannend wird sein, wie das Crowd-Sourcing in diesem Bereich sich auf die gängigen Tools auswirken wird - wir haben uns auch schon etwas inspirieren lassen.

Aber egal wie - an Ende entscheidet immer noch der Nutzer, ob er sich selbst "quantifiziert". Schließlich ist die exakte Vermessung der eigenen Person nicht jedermanns Sache. Und selbst wenn: ob er diese Informationen auf eine Plattform stellt, teilt, sich mit anderen austauscht. Spannend ist es allemal, dass diese Bewegung so viel Schwung bekommen hat. (bw)