Produkte, die besser nie erschienen wären

Die größten Blamagen für Microsoft

22.06.2023
Von 
Preston Gralla ist Redakteur bei Computerworld, Blogger bei ITworld und Autor von mehr als 45 Büchern, darunter "NOOK Tablet:The Missing Manual" (O'Reilly 2012) und "How the Internet Works" (Que, 2006).
Theoretisch wäre es möglich, dass wir heute alle Windows Phones benutzen, Musik mit Zunes hören und auf die Ratschläge von Clippy hören. De facto waren diese Produkte Microsofts größte Flops.
Es gibt Produkte, an die man bei Microsoft nicht mehr so gerne denkt. Ein Überblick.
Es gibt Produkte, an die man bei Microsoft nicht mehr so gerne denkt. Ein Überblick.
Foto: fran_kie - shutterstock.com

Vielen Windows-Usern dürfte die Nachricht ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben: Microsoft hat seine digitale Assistentin Cortana kürzlich offiziell abgekündigt. Cortana wird im Herbst dieses Jahres als Bestandteil von Windows eingestellt, was die wenigen Nutzer, die es bemerken, kaum bedauern dürften.

Das Aus für Cortana hat mich auf die Idee gebracht, einmal über die schlechtesten Produkte in der Geschichte von Microsoft nachzudenken - und darin sind unbrauchbare Windows-Versionen noch gar nicht eingerechnet. Da Microsoft inzwischen fast 50 Jahre alt und die Liste lang ist, musste ich eine Reihe unangenehmer Erinnerungen durchleben. Nach reiflicher Überlegung bin ich zu folgender Liste gelangt:

Microsoft Kin - ein Phone, dass keiner kennt

Erinnern Sie sich an das Kin? Natürlich nicht, keiner tut das. Und das aus gutem Grund. Im Jahr 2010 war die Mobile-Phone-Landschaft bereits von iPhones und Android-Telefonen beherrscht, auf die unzählige Apps heruntergeladen werden konnten. Damals brachte Microsoft mit dem Kin ein Phone auf den Markt, das keine Apps ausführen konnte. Es war ausschließlich für soziale Medien entwickelt worden und verfügte über einen winzig kleinen Bildschirm und eine Mini-Tastatur zum Schreiben von Texten. Aus unerklärlichen Gründen baute Microsoft eine 15-minütige Verzögerung für die Aktualisierung von Inhalten ein. So war klar, dass Anwender in den sozialen Medien immer um eine Viertelstunde hinterherhinken würden.

Ein Gerät, dass auf Microsofts Website nur noch mit Mühe zu finden ist: das Kin Phone.
Ein Gerät, dass auf Microsofts Website nur noch mit Mühe zu finden ist: das Kin Phone.
Foto: Evan Amos - en.wikipedia.org/wiki/Microsoft_Kin

Wieviel hat Microsoft für dieses Produkt ausgegeben? Eine Milliarde Dollar? Ich kann es nur vermuten. Jedenfalls war bereits die Entwicklung des Geräts von internen Streitigkeiten bei Microsoft überschattet. Es gab genug Ärger und gegenseitige Beschuldigungen, um damit die Handlung von fünf Jahren Seifenopern zu bestreiten. Das Kin war nur über Verizon Wireless erhältlich, das den Verkauf nach zwei Monaten einstellte, weil die Verkaufszahlen so deprimierend waren. Microsoft versuchte dann einen Neustart. Hat aber auch nicht funktioniert.

Windows Phone - ein Phone, das keiner mag

Das Kin-Desaster war das Vorspiel für den wohl größten Reinfall in der Geschichte von Microsoft: das Windows Phone. Die Katastrophe begann bereits 2002, und zwar in Zeitlupe. Microsoft brachte damals ein mobiles Betriebssystem namens Pocket PC 2002 heraus - übrigens sechs Jahre, bevor Apple das iPhone vorstellte. Aber dieser Vorsprung von mehr als einem halben Jahrzehnt reicht nicht, um den Mobile-Markt zu erobern. Das liegt an der grundsätzlichen Fehlentscheidung von Steve Ballmer und Bill Gates, für die Mobiltelefone auf eine Windows-Variante als Betriebssystem zu setzen, anstatt von Grund auf ein neues OS zu entwickeln.

Die Kacheloptik von Windows Phone hat immerhin einige Fans gefunden.
Die Kacheloptik von Windows Phone hat immerhin einige Fans gefunden.
Foto: Roman Pyshchyk/Shutterstock.com

Microsoft verhielt sich angesichts seiner Dominanz im PC-Geschäft ziemlich arrogant. Ballmer sagte 2007 nach der Einführung von Apples iPhone gegenüber USA Today: "Es gibt keine Chance, dass das iPhone einen nennenswerten Marktanteil erreicht. Keine Chance."

Pocket PC 2002 wurde mehrmals in verschiedene Betriebssysteme umgewandelt, schließlich erwuchs daraus Windows Phone. Microsoft gab mehrere Milliarden Dollar für die Entwicklung aus, allein 400 Millionen Dollar, um die Markteinführung im Jahr 2012 zu bewerben. Für jedes verkaufte Windows Phone wurden ganze 1.666 Dollar für Marketing und Werbung ausgegeben - weit mehr als der Verkaufspreis von 100 Dollar, den Microsoft bald auf 50 Dollar senkte.

Schließlich warf Microsoft die Brocken hin und verkaufte das Feature-Phone-Geschäft einschließlich der Rechte am Markennamen Nokia an eine Tochtergesellschaft des Auftragsfertigers Foxconn. Microsoft erreichte mit Windows Phone lediglich einen Marktanteil von 1,3 Prozent in den USA und noch weniger in den meisten anderen Ländern. In Großbritannien betrug der Marktanteil ein Prozent, in Deutschland 1,2 Prozent und in China: null Prozent. Es ist müßig, all die schlimmen Fehler aufzuzählen, die Microsoft mit Windows Phone gemacht hat. Wenn es Sie interessiert, können Sie einige der schlimmsten Details hier nachlesen.

Zune und Groove - Microsoft ist nicht musikalisch

Der Zune-Player war Microsofts Antwort auf Apples iPod, und Groove Music war ein Streaming-Musikdienst, der sich mit Spotify ein Kopf-an-Kopf-Rennen hätte liefern sollen. In beiden Fällen wissen wir inzwischen, wer gewonnen hat.

Zune war ein überteuertes und unhandliches Gerät, das schwer zu bedienen und dem iPod in jeder Hinsicht unterlegen war. Ich spreche aus persönlicher Erfahrung: Ich habe damals einen Zune-Player gekauft. Wenn man - wie ich - jahrelang über Microsoft schreibt, dann kauft man am Ende alle möglichen verrückten Sachen. Das Gerät liegt heute irgendwo auf meinem Gadget-Friedhof, da, wo solche Dinge eben verrotten.

Der Musikdienst Groove wurde zunächst als Zune Music Pass eingeführt, als Streaming-Angebot für den Zune. Er wurde dann irgendwann in Xbox Music umbenannt, nachdem Microsoft den Zune wieder eingestellt hatte. Schließlich nannte Microsoft seinen Spotify-Rivalen dann Groove - warum, weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich dachte jemand bei Microsoft, dass das ein cooler Produktname sei. Daran lässt sich schon erahnen, wie schlecht der Dienst war. Es gab wirklich keinen Grund, Groove zu nutzen, und tatsächlich kamen auch nur sehr weniger Nutzer auf diese Idee. Schließlich zog Microsoft die Reißleine.

Microsoft Band - AppleWatch auf Diät

Eigentlich war Microsoft Apple oft voraus, wenn es darum ging, bahnbrechende Technologien auf den Markt zu bringen - auch wenn Apple-Fans das nicht wahrhaben wollen. Doch die Windows-Company büßte ihren Vorsprung eigentlich immer sofort wieder ein. Das Windows Phone ist das prominenteste Beispiel.

Microsoft Band konnte sich nicht gegen die Apple Watch behaupten.
Microsoft Band konnte sich nicht gegen die Apple Watch behaupten.
Foto: Microsoft

Dass sich Geschichte wiederholt, zeigt das Beispiel Microsoft Band, ein Wearable für das Handgelenk. Das Gerät wurde im Oktober 2014 auf den Markt gebracht, mehr als sechs Monate vor der Apple Watch. Während Apple bei der Entwicklung seines Produkts zweifellos hervorragende Arbeit geleistet hat, landete Microsoft - wie es bei Hardware öfters vorkam - einen Flop. Das Unternehmen legte zu wenig Wert auf Benutzerfreundlichkeit, Design und Verarbeitung.

Das Wearable war viel zu groß und unbequem zu tragen. Zudem war das Armband anfällig für Risse und fiel manchmal einfach von den Handgelenken der Benutzer. Das Gerät war unzuverlässig, hatte keine Funktion, die es einzigartig machte, und nur wenige Drittanbieter waren in das Ökosystem eingebunden. Der Bildschirm war schnell verkratzt, und das Band war auch nicht wasserdicht. Im Oktober 2016 stellte Microsoft das Gerät ein. Von der Apple Watch wurden bis heute mehr als 195 Millionen Stück verkauft, und die Verkaufszahlen steigen weiter an.

Bob und Clippy - unlustig und überflüssig

Wenn ein Unternehmen, das nicht lustig, niedlich oder verspielt ist, versucht, so aufzutreten, dann geht das nach hinten los. Wäre Microsoft ein Hemd, dann wohl am ehesten ein zugeknöpftes Oxford-Hemd, kein wildes Hawaii-Hemd und schon gar kein psychedelisch gefärbtes T-Shirt.

Doch genau das wollte Microsoft mit den beiden peinlichsten Produkten seiner Geschichte sein. 1995 kam Microsoft Bob heraus, ein Softwarepaket für Windows-Systeme, das Anfängern, Kindern und älteren Menschen den Umgang mit dem PC erleichtern sollte. Das von Melinda Gates entwickelte Programm verbarg die Windows-Benutzeroberfläche mit ihren technischen Details und arbeitete stattdessen mit Analogien aus der häuslichen Umgebung.

Ein gelber Smiley-Assistent und sein Hund Rover lotsten Anwender durch die Untiefen der PC-Technik. Die beiden geleiteten die Anfänger durch Räume, in denen sie auf Objekte klicken sollten, um bestimmte Dinge zu tun. Die Objekte waren zum Beispiel ein Kalender oder ein Stift und Papier. Bob war nervig, langweilig, dumm, ärgerlich, langsam und so schlecht, dass das Time Magazine ihn als eine der schlechtesten 50 Erfindungen bezeichnete.

Ein Jahr später kam Microsoft mit Clippy für Office 97 heraus - und ließ Bob plötzlich wie Albert Einstein aussehen. Clippy war eine animierte Büroklammer, die zum Leben erwachte, wenn man etwas tun wollte, zum Beispiel einen Text formatieren oder einen Brief schreiben. Clippy bot Nutzern ausgesprochen mühsam und langsam wenig nützliche Hilfe an. Wenn Anwender eine Aufagbe ein zweites Mal erledigen wollten, tauchte Clippy wieder auf, um zu nerven. Auch wenn man gar nichts tat, gab Clippy sein Bestes, um Anwender auf dem Bildschirm zu ärgern.

Wie schlimm Clippy war, zeigt folgende Anekdote: Als der damalige Microsoft-CEO Bill Gates 2001 vor einer Menschenmenge ankündigte, dass Clippy abgeschafft würde, erhielt er stehende Ovationen. (hv)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Kollegen von der COMPUTERWORLD!