Deutschland auf Platz vier beim Quanten-Computing

Wo steht Europa beim Quanten-Computing?

17.11.2020
Von  und
Anika Planzer ist Partner bei McKinsey & Company.
Henning Soller ist Partner bei McKinsey & Company.
Quanten-Computing erreicht sukzessive mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Auch wenn der technologische Durchbruch fern scheint, wird immer mehr investiert. Hat Europa noch Chancen, mit den USA und China mitzuhalten?
Eine McKinsey-Untersuchung listet Deutschland unter den Top Playern beim Quanten-Computing.
Eine McKinsey-Untersuchung listet Deutschland unter den Top Playern beim Quanten-Computing.
Foto: McKinsey

Mit medial gut inszenierten Durchbrüchen in Forschung und industrieller Anwendung hat die nahezu unbegrenzte Computerleistung des Quanten-Computings seit 2019 einen enormen öffentlichen Hype erfahren. Investoren haben dabei den Markt für Quanten-Computing-Technologien nicht erst seit den großen Schlagzeilen im Blick. Wie so oft führen die USA bei den Risikokapital-Finanzierungen. Auch Kanada spielt vorne mit. In China erhalten große Forschungseinrichtungen finanzielle Unterstützung von Staatsseite, um die Kommerzialisierung voranzutreiben. Kein Wunder, dass sich immer mehr CEOs fragen, wie sie sich in der gegenwärtigen Situation am besten verhalten sollen.

Finanz-, Energie- und Tech-Sektoren profitieren als erste

Eine McKinsey-Untersuchung zeigt, dass drei Kernindustrien im ersten Schritt am meisten von den Entwicklungen im Quanten-Computing profitieren können: der Finanzsektor, Pharma und Chemie. Quantencomputer werden diese Branchen mit ihren bislang lediglich theoretischen Möglichkeiten erschüttern und vor ernste Herausforderungen stellen.

Nur ein paar Beispiele: Neue Verschlüsselungsmechanismen machen alte Sicherheitsprotokolle obsolet, was das Finanzwesen unter Druck setzt. Die globale Chemie- sowie Pharmaindustrie werden durch das Aufkommen der Quantensimulationen gefordert, da zahlreiche klassische chemische und klinische Tests überflüssig werden. Die Optimierung von Routen, die bislang bei größerer Komplexität enorme Rechenleistung gefordert hat, könnte perspektivisch stark vereinfacht werden. Setzt sich die Technologie auch nur annähernd so durch, wie von Forschern vermutet, birgt sie ein Disruptionspotenzial, das die Wirtschaftsbasis ganzer Branchen auf den Kopf stellen könnte.

Handlungsbedarf in Europa

Das IBM Q SYSTEM ONE ist einer der ersten industriell verfügbaren Quantencomputer und rechnet mit 20 Qubits.
Das IBM Q SYSTEM ONE ist einer der ersten industriell verfügbaren Quantencomputer und rechnet mit 20 Qubits.
Foto: Boykov - shutterstock.com

Trotz vieler Fragezeichen müssen Europas politische und wirtschaftliche Entscheider das Thema priorisieren, auch wenn die aktuelle Krise den Kontinent fordert. Die Bundesregierung hat den Handlungsdruck erkannt. Als Teil des Zukunftspakets soll die Entwicklung und Produktion von Quantentechnologien sowohl hardware- als auch softwareseitig gezielt gefördert werden. Dabei soll nicht nur in die Forschung, sondern auch in Unternehmensgründungen investiert werden. Der Finanzbedarf wird mit 2 Milliarden Euro veranschlagt.

Technischer Durchbruch kaum vorherzusehen

Wie imminent die Gefahr ist, den Anschluss zu verlieren, lässt sich ob der vielen Unbekannten nur schwer quantifizieren. Blickt man auf die Private-Equity-Investitionen in Quanten-Computing-Firmen, stellt man fest, dass nur etwa zehn Prozent dieser Firmen bereits Lösungen in Marktreife anbieten können. Dennoch lässt sich kaum voraussehen, wie schnell die Entwicklung weiterer Lösungen aus der Quanten-Computing-Branche fortschreiten wird. Es könnte beispielsweise noch Jahrzehnte dauern, bis Quanten-Computing der Durchbruch im kommerziellen Bereich gelingt.

Statt Bits sind Qubits die Basis der Quanteninformatik.
Statt Bits sind Qubits die Basis der Quanteninformatik.
Foto: Astibuag - shutterstock.com

Eine Konzentrationsanalyse zeigt, dass - während China und die USA groß angelegte Exzellenzzentren aufgebaut haben - die Forschung in Europa durch zahlreiche kleinere Zentren geprägt ist. Das erschwert die Zusammenarbeit mit der Industrie. Es gibt zwar konzertierte Initiativen wie das europäische Förderprogramm Quantum Flagship, das mit einem Budget von einer Milliarde Euro auf zehn Jahre ausgestattet ist. Das altbekannte Risiko bleibt aber bestehen: Europa hat Schwierigkeiten, starke Grundlagenforschung in industrielle und kommerzielle Anwendungen zu bringen.

Europa kann sich Warten nicht leisten

Warten können sich die europäischen Entscheidungsträger nicht leisten. Deshalb ist es besser, frühzeitig in Quanten-Computing-Forschung und die Ausbildung von Talenten in artverwandten Bereichen zu investieren, um am Ende nicht den Anschluss zu verpassen und auf dem internationalen Markt zurückzufallen. Die Voraussetzungen dafür sind in Europa gut, werden aber unzureichend genutzt. Viele der Kernindustrien, die von Quanten-Computing besonders schnell umgekrempelt werden, sind zu großen Teilen sehr stark in Europa vertreten.

Hier sollte man ansetzen, um optimal skalieren zu können. Zumal der europäische Talentpool sehr groß ist: So wurden beispielsweise im Jahr 2019 allein in Deutschland 1.800 Doktortitel in Physik verliehen - so viele wie in den gesamten USA. Dieses Potenzial gilt es gewinnbringend einzusetzen. Politische Entscheidungsträger und Innovationstreiber in den Bereichen Finanzen, Chemie und Pharma in Europa sollten das Thema deshalb mit Priorität behandeln. Dann wird Quanten-Computing zu einer echten Chance für Europa - und nicht zu einem potenziellen Risiko. Das vom Koalitionsausschuss beschlossene Zukunftspaket lässt hoffen.