Von Digi Days bis Fuck-up Nights

Wie Stahlhändler Klöckner den Cultural Change stemmt

04.09.2017
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Karen Funk ist Senior Editor beim CIO-Magazin und der COMPUTERWOCHE (von Foundry/IDG). Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind IT-Karriere und -Arbeitsmarkt, Führung, digitale Transformation, Diversity und Sustainability. Als Senior Editorial Project Manager leitet sie zudem seit 2007 den renommierten IT-Wettbewerb CIO des Jahres. Funk setzt sich seit vielen Jahren für mehr Frauen in der IT ein. Zusammen mit einer Kollegin hat sie eine COMPUTERWOCHE-Sonderedition zu Frauen in der IT aus der Taufe gehoben, die 2022 zum 6. Mal und mit dem erweiterten Fokus Diversity erschienen ist.
Change ist Chefsache: Er muss von oben gelebt werden, sonst bleibt der Erfolg aus. Stahlhändler Klöckner zeigt, wie man Mitarbeiter in die Digitalisierung mitnimmt. Ein Ortstermin.

Zu sehen gibt es eigentlich nichts Neues: An offene, loftartige Räume hat man sich inzwischen ja gewöhnt. Kicker und Dartscheibe - auch nicht so spektakulär. Die kahlen Wände fallen ins Auge: Denn kloeckner.i ist erst vor kurzem in das alte Postgebäude in der Zinnowitzer Straße in Berlin gezogen.

Das Digital Lab des Stahlhändlers Klöckner & Co wächst so schnell, dass die früheren Räumlichkeiten in der alten Waschlappenfabrik zu klein wurden. Inzwischen zählt die Digitalisierungstochter, die vor zweieinhalb Jahren in einem Co-Working-Space startete, über 50 Mitarbeiter, Tendenz steigend. Selbst innerhalb der neuen Räumlichkeiten soll bald wieder umgezogen werden, die Programmierer brauchen mehr Platz, bekommen ein Großraumbüro. Vorausschauend sind die Türschilder mit Non-permanent-Markern beschriftet, jederzeit problemlos anpassbar.

klockner.i, das Digital Lab von Klöckner & Co. wächst so schnell, dass selbst innerhalb der neuen Räumlichkeiten bald umgezogen werden muss.
klockner.i, das Digital Lab von Klöckner & Co. wächst so schnell, dass selbst innerhalb der neuen Räumlichkeiten bald umgezogen werden muss.
Foto: Klöckner

"Wir sind hier inzwischen auch eine Art Showroom für die digitale Transformation", sagt Christian Pokropp, einer der vier Geschäftsführer von kloeckner.i und zuständig für den Bereich Corporate Communications. Nicht nur eigene Mitarbeiter aus anderen Niederlassungen kommen für Schulungen nach Berlin, sondern auch viele externe Gäste schauen vorbei. Prominenteste Besucherin war vor kurzem die Bundeskanzlerin. Ebenso seien unlängst der Konzernbetriebsrat und Aufsichtsrat vor Ort gewesen, "um besser zu verstehen, was wir hier machen", so Pokropp weiter.

Was sie machen, ist, die Vision von Klöckner-CEO Gisbert Rühl umzusetzen, den Traditionskonzern in das Zeitalter der Digitalisierung zu führen. Ideen dafür hatte er 2014 auf seiner Reise ins Silicon Valley gesammelt. Ende 2014 wurde dann in Berlin, fern des Duisburger Stammsitzes, kloeckner.i gegründet.

Auftrag des Startups: digitale Impulse und Initiativen ins Mutterunternehmen zu tragen - über Produkte, die gemäß dem Design-Thinking-Ansatz schnell und unbürokratisch entwickelt werden, ohne den Anspruch, gleich beim ersten Wurf perfekt sein zu müssen (Minimum Viable Product). Über Produkte, die man erstmals in enger Zusammenarbeit mit den Kunden entwickelt. Und später perfektioniert. Und wenn es mal nicht läuft, dann scheitert man eben. Aber nach dem Prinzip: Fail fast, fail cheap. Auch ein Ansatz, den Rühl aus dem Valley mitgebracht hat.

Wie Digitalisierung allen hilft: Klöckner-CEO Gisbert Rühl (links) informierte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ReDI über die Ausbildungsmöglichkeiten für Asylsuchende und stellte ihr Rami Rihawi vor, ehemaliger ReDI-Schüler und jetzt festangestellter Mitarbeiter von kloeckner.i.
Wie Digitalisierung allen hilft: Klöckner-CEO Gisbert Rühl (links) informierte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ReDI über die Ausbildungsmöglichkeiten für Asylsuchende und stellte ihr Rami Rihawi vor, ehemaliger ReDI-Schüler und jetzt festangestellter Mitarbeiter von kloeckner.i.
Foto: Klöckner

Apropos Rühl: Obwohl er beim Ortstermin in Berlin nicht mit dabei ist, ist er doch allgegenwärtig. Ohne Rühl geht es nicht, sein Name zieht sich wie ein roter Faden durch unseren Besuch und alle Gespräche. Die kloeckner.i-Leute erzählen begeistert, wie der Firmenchef unablässig für die neuen Konzepte wirbt und den Kontakt zu allen Mitarbeitern sucht. So habe er im Sommer 2015 rund 250 Klöckner-Führungskräfte aus aller Welt in Berlin zu einem dreitägigen Workshop zusammengetrommelt.

Thema: digitale Transformation. "An einem Tag, an dem es nur um Design Thinkingging, wurden so viele Ideen generiert, dass wir viele davon heute noch im Backlog haben", berichtet Michael Hilzinger, CIO bei Klöckner und ebenfalls Mitglied der Geschäftsführung bei kloeckner.i. Rühl habe sich bei dem Workshop von allen ihre Ideen persönlich zeigen lassen, und die Ideengeber seien im Anschluss mit in die jeweils daraus resultierenden Projekte geholt worden.

Aus dieser Aktion heraus ist zudem ein neues Berufsbild beiKlöckner entstanden: der Digitalisierungsverantwortliche. Diese Experten sind inzwischen hauptamtlich Ansprechpartner im Unternehmen für digitale Fragen und Ideen. Das Konzept wurde zunächst in den deutschen Niederlassungen umgesetzt und soll aufgrund der positiven Erfahrungen auch in anderen Landesniederlassungen eingeführt werden.

Yammer als konzernweite Kommunikationsplattform

Im Juli war der umtriebige Unternehmenschef übrigens auf Tour durch alle 13 deutschen Niederlassungen, unter anderem um nach den Bürokollegen nun auch die Lagerarbeiter davon zu überzeugen, das zentrale Kommunikations-Tool Yammer zu benutzen. Von 8700 Mitarbeitern weltweit seien bereits 4200 auf der Unternehmens-Social-Media-Plattform, erklärt Pokropp stolz. Hier können die Mitarbeiter direkt mit Rühl in Kontakt treten oder sich untereinander in Fach- oder geschlossenen Gruppen austauschen oder zusammenarbeiten. Andere Communities sind beispielsweise "all company" oder landesspezifische Gruppen.

Das führt auch zu weniger Hierarchien im Miteinander. Damit sich alle verstehen - nicht nur mit den internationalen Niederlassungen - ist die Unternehmenssprache Englisch: Allein am Standort Berlin zählt man 13 unterschiedliche Nationalitäten. Wer nicht so gut Englisch kann, dem hilft die Übersetzungsfunktion von Yammer.

Das Büro der vier kloeckner.i-Geschäftsführer ist winzig: erst wenn die Programmierer umgezogen sind, bekommen auch die Chefs mehr Platz. Hier sticht ein großes Plakat ins Auge, auf dem der Digitalisierungsfahrplan des Stahlhändlers für alle Mitarbeiter nach der "Big Picture"-Methode (vulgo: Wimmelbild) visualisiert ist: zu sehen ist der bereits realisierte Web-Shop, über den Kunden jetzt Stahlbleche, -rohre und Profile sowie Edelstahl und Aluminium online bestellen können; das Order Transparency Tool, mit dem Kunden ihren Auftragsstatus einsehen können; und das ERP-Modul, an dem der Konzern gerade mit Sage bastelt.

Ein Meilenstein, der noch in diesem Jahr Realität werden soll, prangt oben rechts: eine Industrieplattform offen für alle Stahlhändler in Europa, über die der Kunde künftig auch außerhalb des Klöckner-Universums Stahl bestellen kann. Das klare Ziel des Konzerns ist es, ebenfalls im Bild dargestellt, bis 2019 die Hälfte aller Umsätze über digitale Prozesse zu erwirtschaften.

Das ist alles ganz schön neu für einen Traditionskonzern. Viele langjährige Mitarbeiter, die erstmals das hippe Berlin-Startup besuchten, seien überrascht gewesen, erzählt Konzern-CIO Hilzinger. Aber ihm sei es umgekehrt nicht anders gegangen, wirft Pokropp ein. " Die dunklen Einzelbüros waren schon ungewohnt, als ich 2013 nach Duisburg kam." Aktuell wird das Raumkonzept umgestaltet zu größeren Büros (Worksuiten). Jeder behält zwar seinen festen Arbeitsplatz, aber sitzt nicht mehr allein. So werden Mauern abgebaut. Konsequenterweise bietet Rühl sein Büro in Duisburg intern als Konferenzraum an, wenn er nicht da ist.

Austauschprogramm für Mitarbeiter

Der frische Wind bekommt nicht jedem: "Wir haben nicht alle beim Change mitgenommen und werden auch nicht alle mitnehmen können. Das kommuniziert Gisbert Rühl ganz offen", erzählt Pokropp. "Aber wir versuchen, so viele wie möglich mitzunehmen." Um Mitarbeiter fit zu machen für die Digitalisierung und möglichst viele zu halten, hat Klöckner Initiativen wie die Weiterbildungstage "Digi Days" oder die "Digital Academy" ins Leben gerufen.

Bei letzterer handelt es sich um ein Self-Service-Fortbildungsportal, bei dem sich Mitarbeiter während der Arbeitszeit weiterbilden können. Zudem hat das Unternehmen ein Austauschprogramm für alle Landesgesellschaften etabliert, für das sich Mitarbeiter bewerben können. Wer ausgewählt wird, geht dann für mindestens einen Monat bis maximal ein halbes Jahr nach Berlin, wo er alle Abteilungen (Software Development, Online Marketing, Customer Care, Business Analytics, Quality Assurance und Controlling) von kloeckner.i durchläuft.

Dafür dürfen die Austauscharbeiter 60 Prozent ihrer Arbeitszeit aufwenden, zu 40 Prozent arbeiten sie weiter in ihrer eigentlichen Funktion. Zeitgleich können immer drei Kandidaten kommen - mehr passen nicht in die dafür bereitgestellte Berliner Wohnung und mehr schafft das Digital Lab auch nicht, denn der Betreuungsaufwand ist groß.

Auf dem Digitalisierungs-Wimmelbild steht noch "Training for Refugees" - wir wollen wissen, was sich dahinter verbirgt. Hilzinger und Pokropp führen uns ans andere Ende des Lofts, dort geht es durch eine schwere Feuertür hinein in ein anderes Loft. Hier residiert ReDI (Refugees Digital Integration). Neben Seminarecken, die teils mit selbstgebauten Euro-Paletten-Möbeln bestückt sind, sitzen Asylsuchende an Einzelarbeitsplätzen vor dem Laptop.

Klöckner engagiert sich als Hauptsponsor bei ReDI, der 2016 gegründeten Initiative, die Flüchtlinge in Abendkursen und Praktika zu Programmierern ausbildet. Nach sechs Monaten erhalten die Absolventen ein Abschlusszertifikat. Im vergangenen Jahr haben 37 Studenten die Ausbildung absolviert, in diesem Jahr sind bereits 115 angemeldet. Seit Oktober 2016 ist ein syrischer ReDI-Absolvent fest bei kloeckner.i angestellt, ein weiterer Absolvent macht derzeit Praktikum mit der Aussicht auf Festanstellung im Anschluss. Beide ehemaligen ReDI-Schüler arbeiten in der Softwareentwicklung.

Aus Fehlern lernen

Der Wandel ist nie vorbei, und Rühl probiert gerade wieder Neues, so Kommunikationschef Pokropp. Vor wenigen Wochen habe der CEO zehn Zentralbereichsleiter aus der Konzern-Holding zu einer "Fuck-up Night" außerhalb der Zentrale in ein Düsseldorfer Loft eingeladen. In lockerer und offener Atmosphäre erzählte der Firmenlenker zusammen mit zwei externen Gästen von eigenen Fehlern aus dem Business-Leben. Die anschließende angeregte Diskussion dauerte bis tief in die Nacht.

Ziel war es, mit gutem Beispiel voranzugehen und zu zeigen, wie man aus Fehlern lernen und sich weiterentwickeln kann. Welchen Fehler Rühl denn kommuniziert habe, wollen wir wissen. Pokropp: "Ein letztendlich gescheitertes Onlineshop-Projekt zu lange laufen gelassen zu haben". Bei der noch nach herkömmlichen Methoden entwickelten Lösung sei von Beginn an versucht worden, konzerntypisch möglichst alle Funktionalitäten abzudecken. Mangels ausreichender Interaktion mit den potenziellen Nutzern habe man aber komplett an deren Bedürfnissen vorbei entwickelt. "Daher arbeitet kloeckner.i nach dem Lean Startup Approach und bindet Kunden von Beginn an in die Entwicklung neuer Lösungen ein", so der Kommunikationschef weiter.

Trotzdem gelinge natürlich noch immer nicht jede Neuentwicklung. Aber wenn notwendig, zieht Rühl mittlerweile viel schneller die Reißleine (fail fast). Dieses Prinzip gehe einher mit einer offenen Fehlerkultur. Pokropp: "Wir können das kreative Potenzial unserer Mitarbeiter nur ausschöpfen, wenn klar ist, dass Scheitern für sie keine negativen Konsequenzen hat. Der offene Umgang mit Fehlern versetzt uns zudem in die Lage, diese in Folgeprojekten zu vermeiden".

Derzeit ist Klöckner dabei, das Format "Fuck-up Nights" im Unternehmen zu etablieren. Und noch eine Idee verfolgt man derzeit: Künftig will der Konzern auch Basis-Programmierkurse für Führungskräfte anbieten, damit diese mehr Verständnis für Technik und Digitalisierung entwickeln.