BPM in Theorie und Praxis

Warum BPM einfacher werden muss

21.09.2015
Von 


Bernd Ruffing ist freiberuflicher BPM-Berater und Geschäftsführer von prozesspunktnull. Neben seiner Schwäche für die saarländische Küche verbringt der ausgesprochene Familienmensch seine Freizeit mit Denk- und Strategieaufgaben jeder Art. Durch seine unkomplizierte und direkte Art gelingt es Ruffing, komplizierte Themen einfach und lösungsorientiert darzustellen.
Für viele Unternehmen ist BPM das Allheilmittel. Leider funktioniert es in der Praxis oft nicht wie in der Theorie erwartet. Ein Grund: BPM ist zu kompliziert.

Eigentlich soll das Business Process Management (BPM) die Dinge ja einfacher machen:

  • Prozessoptimierungen sorgen für schlanke Prozesse und effektiveres und effizienteres Arbeiten.

  • Automatisierung von Prozessen verschafft Arbeitserleichterung und minimiert Fehler.

  • Dokumentierte Prozesse sorgen für Transparenz: jeder weiß, was wann zu tun ist.

Die BPM-Strategie muss ganzheitlich und auf die Unternehmensstrategie ausgerichtet sein.
Die BPM-Strategie muss ganzheitlich und auf die Unternehmensstrategie ausgerichtet sein.
Foto: Mathias Rosenthal - shutterstock.com

So zumindest der theoretische Gedanke, der dem BPM zu Grunde liegt. Die Praxis dagegen zeigt oft, dass viele dieser Ziele nicht erreicht werden, oder zumindest nicht so, wie erhofft. Ein Grund dafür ist, dass gerade das BPM an sich ist oft viel zu kompliziert ist. Eine Tatsache, die nicht nur den starren BPM-Methoden und -Techniken geschuldet ist, sondern vor allem dem Ansatz der Unternehmen, diese BPM-Theorien Eins-zu-Eins in der Praxis umzusetzen.

Einführung von BPM in den Unternehmen

Der Idealfall zur Einführung von Business Process Management ist, dass sich das Management eines Unternehmens intensiv mit dem Thema beschäftigt und daraufhin eine BPM-Strategie entwickelt, die auf das Unternehmen und dessen strategischen Ziele ausgerichtet ist. Anschließend werden dann die passenden Methoden, Techniken und Tools evaluiert, die diese BPM-Strategie am besten unterstützen. Quasi also BPM-Kompletteinführung von der wohlbekannten grünen Wiese.

In der Realität stellt man aber immer wieder fest, dass sich BPM mehr oder weniger über die Hintertür Zutritt in die Unternehmen verschafft. Dies kann ganz unterschiedlich geschehen, zum Beispiel:

  • Unternehmen wollen Prozesse dokumentieren und führen zunächst ein Prozessmodellierungstool ein. Im Rahmen dieser Einführung - meist oft aber auch erst viel später - beschäftigen sie sich dann mit übrigen Themen wie Prozessorganisation, Kennzahlen und Zielen.

  • Es sollen neue IT-Tools oder -Systeme eingeführt werden. Dazu braucht man eine Übersicht über die aktuellen Geschäftsprozesse.

  • Unternehmen führen Qualitätsmanagementsysteme ein, oder besitzen schon welche. Im Rahmen dazu müssen Sie sich auch mit den Prozessen beschäftigen

Problematisch bei einer solchen BPM-Einführung sind der fehlende ganzheitliche Ansatz und die Betrachtung aus allen notwendigen Perspektiven. Bei der Einführung von IT-Systemen werden andere Ansprüche und Anforderungen an das BPM gestellt als im Qualitätsmanagement.
Aber auch beide einzeln betrachtet beinhalten immer noch keine übergeordnete Unternehmensstrategie und Ziele. Versucht ein Unternehmen dann noch, BPM-Strategien und -Methoden, die in einem Bereich entstanden sind, auf das gesamte Unternehmen zu transferieren, kommt es zwangsläufig zu Konflikten.

Ein triviales Beispiel: wer ein Auto kaufen möchte und unbedingt schnell fahren will, sollte einen Porsche kaufen. Wer lieber ein Fahrzeug möchte, das im Geländer sicher fahren kann, dem ist eher ein Jeep zu empfehlen. Und obwohl beide Autos ihren originären Zweck (das Fahren) erfüllen, wird der Querfeldeinfahrer wenig mit dem Porsche anfangen können, und umgekehrt. Nimmt man hinzu, dass bei beiden Fahrern dies nur Nebenziele sind, das Auto hauptsächlich und als übergeordnetes Ziel als Familienkutsche dienen soll, ist das Chaos perfekt.

Verschiedene Interessengruppen haben verschiedene Ansprüche

Um an obiges Beispiel anzuknüpfen: Bei der Einführung von IT-Systemen hat der IT-Mitarbeiter spezielle Erwartungen an den Geschäftsprozess und dessen Darstellung. Für ihn ist interessant, welcher der Abläufe wie von der IT unterstützt wird oder werden kann, welche Daten dafür notwendig sind, und welche IT-Schnittstellen vorhanden sind. Er erwartet, dass ein BPM ihm diese Informationen liefert.
Der ausführende Mitarbeiter in der Fachabteilung dagegen erwartet nur, dass er seine Tätigkeiten ordnungsgemäß ausführen kann. Dazu reichen ihm die Informationen, wann was und wie etwas zu tun ist. Daten und IT-Schnittstellen? Das ist für ihn als IT-Laien zu kompliziert und interessiert ihn nicht.

Praxisbeispiel Prozessmodellierung:

Nehmen wir als Beispiel die Prozessmodellierung. Unternehmen und deren Prozessmodellierer entwerfen nach gültigen Konventionen ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK). Diese enthalten meist nicht nur den Tätigkeitsablauf, sondern zusätzlich eine Vielzahl weiterer Symbole und Objekte wie Anwendungssysteme, Dokumente, beteiligte Rollen, Daten, Input und Output, Risiken oder Kennzahlen. Der Hintergrund ist recht einfach: die Verantwortlichen wollen Ihre Prozessmodellierung ausreizen und auf möglichst wenig Platz möglichst viele Informationen liefern.

Zu viele Informationen machen die Prozessdarstellung kompliziert.
Zu viele Informationen machen die Prozessdarstellung kompliziert.
Foto: Ruffing Consult

Das Resultat solcher überdimensionierten EPK-Darstellungen: sie sind für bestimmte Interessengruppen, vor allem die Prozessanwender, zu kompliziert. Sie werden daher weder gelesen noch verstanden. Nicht umsonst wird die Prozessmodellierung von vielen Anwendern als "bunte Kästchen malen" belächelt.

Formalismus und Bürokratie statt Anwendbarkeit

Ein weiterer wichtiger Faktor, warum BPM zu kompliziert ist, sind die formalistischen und bürokratischen Anforderungen und Regeln, die viele in ihrem BPM definieren. Drei klassische Beispiele:

  1. Fest definierte Vorlagendokumente zur Prozessdokumentation. Diese enthalten Pflichtkapitel und notwendige Angaben. Da wird schnell aus einem 1-minütigen Ablauf ein Dokument von 20 Seiten. 19 davon mit Angaben zu Geltungsbereich, Zielen, Kennzahlen und mehr. Da verliert man schnell das Interesse, diese auch zu lesen. Mal ganz abgesehen von den Fachbereichen, die für die Dokumentation dieser Abläufe verantwortlich sind und solche Dokumente schreiben müssen.

  2. Ein neuer Prozess wird gestaltet? Dann bitte erstmal ordnungsgemäß nach den definierten Vorgaben und Konventionen dokumentieren. Anschließend wird dieses Dokument von allen Beteiligten inhaltlich und fachlich geprüft. Nach zwei Korrekturrunden, bis auch wirklich jeder mit jedem Wortlaut einverstanden ist, geht es dann zur nächsten Prüfung an BPM-Instanzen. "Hier ist der Verweis auf die mitgeltenden Unterlagen falsch. Und hier fehlt der Verweis auf die Schnittstellen zu einem der Nachfolgeprozesse. Und der genannte Input in Tätigkeitsschritt entspricht nicht dem Prozess-Repository", sind die möglichen Kommentare.
    Nach erneuter Korrektur ist das Dokument endlich von allen Verantwortlichen unterschrieben. Jetzt nur noch verteilen und veröffentlichen, dann kann endlich danach gearbeitet werden.
    Seit Fertigstellung des Prozesses sind nun drei Monate vergangen. In der schnelllebigen Zeit hat sich der Prozess mittlerweile vielleicht sogar schon wieder verändert.

  3. Prozessbeschreibungen enthalten die Abläufe bis ins kleinste Detail. Vorgaben, die unbedingt eingehalten werden müssen. Freiheit und Kreativität der Anwender bleibt vollständig auf der Strecke. Für manche Unternehmensbereiche mag das sinnvoll und sogar notwendig sein. Gerade aber bei den so genannten "Wissensarbeitern" gehört Freiheit und eigenständiges Handeln aber zu Aspekten der Arbeit, die für einen Erfolg notwendig sind. Starre BPM-Vorschriften ersticken diese leider oft im Keim.

Hinzu kommt die vollkommen fehlende Flexibilität, da immer eines auch für alles gültig ist. Alle dokumentieren gleich, alle handeln gleich, für alle die gleichen Regeln, keine Ausnahmen.

BPM Methoden entschlacken

Ziel eines jeden Unternehmens muss es also sein, genauestens zu prüfen, dass alle Methoden so einfach wie möglich sind und wirklich auf die spezifischen Interessengruppen zugeschnitten sind. Dazu müssen die Unternehmen bereit sein, ihre aktuellen Methoden und Techniken zu überdenken und größtmögliche Flexibilität in die starren BPM-Strukturen bringen.

Eine Prozessmodellierung kann nicht für alle Bereiche und Interessengruppen eines Unternehmens vereinheitlicht werden. Nicht jeder braucht Anweisungen bis ins kleinste Detail. Gerade in Projekten, die zunehmend agil abgewickelt werden, muss auch ein Business Process Management so agil und flexibel sein, um Prozesse schnell ändern und einführen zu können. Ein Faktor, der durch immer schneller und immer öfter kommende neue Herausforderungen immer wichtiger wird.

BPM muss agil und flexibel werden.
BPM muss agil und flexibel werden.
Foto: Bakhtiar Zein - shutterstock.com

Zusammenfassung

Ein Grund dafür, dass viel des erwarteten BPM-Nutzens in der Praxis nicht oder nur teilweise erreicht wird, liegt an der Komplexität der eingesetzten BPM-Strategien und -Methoden. Diese verfolgen oft keinen ganzheitlichen Ansatz und sind nicht auf die verschiedenen Interessen- und Anwendergruppen zugeschnitten. Die Folge: wenig Akzeptanz und Beteiligung. Unternehmen müssen diese starren Strukturen aufbrechen und zugeschnittene Methoden einführen, die einfach sind und Nutzen für alle Anwender generieren. (bw)