Überfordertes Management

Wann Kulturwandel scheitern muss

01.02.2021
Von 


Henrik Kehren ist Serienunternehmer, Digitalisierungsexperte und Keynote-Speaker.
Viele Projekte, die sich dem Kulturwandel im Unternehmen widmen, scheitern, weil das Management die Mitarbeiter nicht ernst nimmt. Und wenn danach noch die falschen Maßnahmen folgen, ist die Krise sicher da.

Es bedarf zunächst einer ernstgemeinten Bereitschaft, sich mit der aktuell gelebten Kultur offensiv auseinanderzusetzen. Es darf nicht nur dem Anschein nach auf der Agenda stehen. Wie schädlich Kulturblindheit im Management für ein Unternehmen sein kann, zeigen Beispiele, wie die der Deutschen Bank oder Volkswagen mit erschreckender Deutlichkeit. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit verkommt die Erneuerung zur inhaltsleeren Hülle.

Wer als Führungskraft den Kulturwandel ernst nehmen will, muss die Mitarbeiter mitnehmen, sonst wird es nichts mit dem Verlassen von ausgetretenen Pfaden, die man so gerne verlassen möchte.
Wer als Führungskraft den Kulturwandel ernst nehmen will, muss die Mitarbeiter mitnehmen, sonst wird es nichts mit dem Verlassen von ausgetretenen Pfaden, die man so gerne verlassen möchte.
Foto: Thinglass - shutterstock.com

Leider reicht aber selbst eine hohe Bereitschaft des Managements nicht aus. Es braucht auch das richtige Know-how, Kulturziele professionell zu entwickeln. Denn zu viele Chancen "es richtig zu machen" bieten sich nicht. Wiederholtes Scheitern kann Mitarbeiter erstarren lassen.

(Elektro)Schock Kulturwandel

Hierzu passt ein Experiment, welches der US-Psychologe Martin Seligman bereits in den 1960er Jahren durchführte, was sich aus heutiger Sicht ethisch als fragwürdig anmutet, jedoch zu den Klassikern der Psychologie gehört. Seligman sperrte Hunde in einen Käfig mit zwei Kammern. Eine der Kammern des Käfigs setzte er jeweils kurz unter Strom. Durch einen Sprung in die andere Kammer konnten die Hunde den Stromstößen entkommen. Sie lernten schnell. In einer zweiten Phase trennte der Psychologe die beiden Kammern des Käfigs durch eine Glaswand. Sobald der Strom wieder floss, versuchten die Hunde erneut aus der Kammer zu fliehen. Nachdem die Flucht aufgrund des Glastrenners auch nach mehreren Versuchen jedoch erfolglos blieb, ließen die Hunde die Elektroschocks reglos auf dem Boden liegend über sich ergehen. In einer letzten Versuchsphase wurde die Glaswand wieder entfernt, bevor der Strom erneut eingeschaltet wurde. Die Hunde rührten sich kaum. Sie blieben apathisch liegen, denn sie hatten gelernt: Ich kann an der Situation nichts ändern, ich bin hilflos.

Was hat die bedauernswerte Situation der Hunde nun mit der von Beschäftigten im Kulturwandelprozess zu tun? Neue Verhaltensweisen, neue Spielregeln sind in der Organisation auszuprobieren. Unangenehme Entwicklungen wie sinkende Umsätze, veränderte Marktregeln und neue Wettbewerber können Begleiter eines Veränderungsprozesses sein. Bei vielem werden die Mitarbeiter zunächst scheitern oder schlechte Erfahrungen sammeln.

Warum Scheitern zu Unrecht hofiert wird

Fehlschläge gehören zu einer Transformation - einem Kulturwandel - dazu. Im Rahmen von New-Work- Ansätzen wird Scheitern sogar geradezu als Erkenntnisgewinn hofiert. In eigens organisierten Fuck-up- Veranstaltungen berichten Akteure über Misserfolge und eigenes Scheitern. Die sogenannten Agile und Lean Methoden basieren quasi auf dem Scheitern. Genauer betrachtet führt jedes Scheitern jedoch dazu, den Glauben etwas ausrichten zu können, zu verlieren. Es wird einem ein Teil der Selbstwirksamkeit genommen. Je nach Persönlichkeit mag es dazu führen, dass Beschäftigte selbst die offensichtlichsten und besten Optionen zur Veränderung nicht mehr nutzen. Sie verweilen auf der Stelle wie die Hunde in Seligmans Experiment.

Es darf nicht unterschätzt werden, wie herausfordernd das richtige Einbinden der Mitarbeiter in den Prozess des Kulturwandels ist. Die Unternehmensberatung McKinsey hat analysiert, dass 70 Prozent aller Change-Projekte - und das umfasst auch den Kulturwandel - am Widerstand der eigenen Mitarbeiter scheitern. Angesichts dieser Erkenntnis ist es paradox, dass sich die meisten Verantwortlichen nicht oder nur unzureichend mit ihren Mitarbeitern auseinandersetzen.

Was Sie als Führungskraft tun könnten

Wäre Kulturwandel und Transformation eine vorhandene Unternehmensstärke, die Organisation wäre das Themenfeld bereits erfolgreich angegangen. Holen Sie sich Hilfe von außen. Hinterfragen Sie zu vergebende Beratungsmandate nach dem passenden Deckungsgrad zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Nicht jede Maßnahme innerhalb eines Konzerns ist auf einen Mittelständler oder ein Familienunternehmen übertragbar und vice versa.

Fraglich sind in dem Themenfeld auch Berater, die keinen starken praktischen Umsetzungsbackground vorweisen können bzw. selbst in keiner führenden Position im Unternehmen Transformationsprojekte geleitet haben. Protagonisten beginnen sich das relevante Wissen anzueignen. Doch das Kennen der Werkzeuge ist kein Garant für gutes Gelingen. Nur der richtige Fit und vorhandene Erfahrung hilft die Lernkurve abzukürzen. Den auf die Organisation passenden Ansatz richtig einzuschätzen, ist eine Herausforderung.

Holen Sie sich als Verantwortlicher anhand von Unternehmensbeispielen und mithilfe neuer Erkenntnisse Anregungen, was genau in diesen Unternehmen geschehen ist und wie sich dieses Wissen auf Ihr Unternehmen übertragen lässt. Man kann zu Beginn viele Dinge einfach nicht richtig abschätzen. Dazu gehören auch Fehler.Falsches Herangehen kann zu einem Erstarren der Mitarbeiter, der ganzen Organisation führen.