Repräsentative Umfrage

Viele Deutsche hätten nichts gegen Social Scoring

04.02.2019
Die meisten Deutschen, aber bei weitem nicht alle, finden digitale Systeme zur sozialen Kontrolle der Bürger schlecht, zeigt eine repräsentative Studie. Die Haltung zum Thema Überwachung hängt von der generellen Lebenseinstellung ab.
  • Erstaunlich viele möchten ihr soziales Verhalten bewerten lassen und andere bewerten
  • Vor allem in der "wirtschaftsnahen Leistungselite" gibt es Zustimmung
  • Jüngere Bürger sind skeptischer als ältere
So finden die Deutschen Social Scoring.
So finden die Deutschen Social Scoring.
Foto: SINUS-Institut, YouGov

Die Schlagzeilen gingen durch alle Gazetten: Chinas Regierung arbeitet in verschiedenen Städten daran, das Verhalten der eigenen Bürger mit einem Social-Credit-System zu bewerten. Wer sich positiv im Sinne der Regierung verhält, bekommt für jede gute Tat Punkte. Diese ermöglichen es ihm beispielsweise, billigere Flug- oder Zugreisen zu buchen, günstigere Kredite zu bekommen oder die Kinder auf eine bessere Schule zu schicken. Wer gegen die Regeln verstößt - welche auch immer das sind -, muss mit Punktabzügen und negativen Folgen rechnen (siehe auch ZEIT-Interview zum Thema).

Peking möchte die Bürger des Landes so zu besseren Menschen erziehen, vor allem aber wohl politisch auf Linie halten. Kritiker sehen naturgemäß die persönliche Freiheit der Menschen eingeschränkt. Sie monieren, die Privatsphäre werde verletzt, eine Überwachungsgesellschaft sei die Folge. Eine repräsentative Marktuntersuchung von YouGov und der SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH zeigt nun, dass auch einige Deutsche einem solchen Social-Credit-System etwas abgewinnen könnten.

Von 2036 befragten Bürgern im Alter zwischen 18 und 69 Jahren sagen 47 Prozent, ein Social Scoring sei "sehr schlecht", weitere 21 Prozent finden es "eher schlecht". Von den verbleibenden 32 Prozent hat knapp die Hälfte keine Meinung (15 Prozent), die anderen finden es "eher gut" (14 Prozent) oder "sehr gut" (drei Prozent).

Belohnung für Wohlverhalten?

Viele Menschen würden sich gerne selbst auf ihr Sozialverhalten hin bewerten lassen oder andere bewerten.
Viele Menschen würden sich gerne selbst auf ihr Sozialverhalten hin bewerten lassen oder andere bewerten.
Foto: SINUS-Institut, YouGov

Die Umfrage zeigt, warum einige Bürger durchaus Interesse an Social Scoring finden können. Sie vertrauen dem Staat, verlassen sich aber vor allem auf ihr "reines Gewissen" und möchten Vorteile aus ihrem vermeintlich vorbildlichen Verhalten ziehen. So sagen 39 Prozent, sie fänden es "sehr gut" (zehn Prozent) oder "eher gut" (29 Prozent), in ihrem Umfeld selbst bewertet zu werden. Dabei steht der Wunsch im Vordergrund, Pluspunkte für Freundlichkeit und Minuspunkte für Unfreundlichkeit zu erhalten. Sogar 40 Prozent würden andere gerne bewerten oder ihnen für Unfreundlichkeit die Quittung geben, wobei zehn Prozent diese Option als "sehr gut" und 30 Prozent als "eher gut" bezeichnen.

Als mögliche Belohnungen für ein hohes Punktekonto wünschen sich Menschen beispielsweise einen schnelleren Zugang zu Konsumkrediten, Vorteile im Beförderungsprozess, eine schnellere Bearbeitung von Amtsvorgängen oder bessere Bildungschancen. Fakt ist aber auch, dass 64 Prozent eine Bevorteilung von Personen mit einem hohen Punktestand grundsätzlich ablehnen.

Befürworter hoffen auf mehr Moral

Befragt nach den generellen Vorzügen eines Systems, mit dem sich das Sozialverhalten der Menschen bewerten ließe, sagen die Bürger, sie versprechen sich davon ein moralisch besseres Verhalten (31 Prozent), ein harmonischeres Miteinander (24 Prozent), mehr Fairness (20 Prozent), größere Erfolge bei der Kriminalitätsbekämpfung (18 Prozent) und weniger Betrug (17 Prozent). Überraschend hoch ist mit 15 Prozent der Anteil derer, die an mehr gegenseitiges Vertrauen unter den Bürgern glauben. 39 Prozent sind sich indes sicher, dass es keinerlei Vorteile gäbe.

Größter Nachteil ist aus Sicht der Befragten die Gefahr falscher Bewertungen (61 Prozent), gefolgt von einem zunehmenden Misstrauen in der Bevölkerung (55 Prozent) und der Gefahr einer langfristigen Stigmatisierung und Rufschädigung von Menschen (50 Prozent). 47 Prozent sehen ihre Grundrechte verletzt, 45 Prozent ihre Meinungsfreiheit eingeschränkt und 38 Prozent sprechen von "Ungerechtigkeit" im Zusammenhang mit Social Scoring (Mehrfachnennungen waren möglich).

Die Analysten stellen also fest, dass insgesamt zwar nur 17 Prozent der Bevölkerung ein soziales Bewertungssystem befürworten würden, dass aber die dahinterliegende Idee, soziales Verhalten anderer zu bewerten und sich selber beurteilen zu lassen, sehr viel positiver aufgenommen wird. Auffällig ist, dass junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren der Vorstellung sozialer Kontrolle viel kritischer gegenüberstehen als Mitbürger im Alter von 25 Jahren aufwärts.

Leistungselite glaubt an Chancen

Die Nachteile des Social Scoring überwiegen klar aus Sicht der Bürger. Aber etliche sehen auch Chancen.
Die Nachteile des Social Scoring überwiegen klar aus Sicht der Bürger. Aber etliche sehen auch Chancen.
Foto: SINUS-Institut, YouGov

Manfred Tautscher, Geschäftsführer des SINUS-Instituts, stellt fest, dass Social Scoring im "Milieu der Performer" mit 46 Prozent den größten Anklang findet: "Diese wirtschaftsnahe und effizienzgetriebene Leistungselite ist äußerst fortschrittsoptimistisch und schätzt es sehr, wenn das Leben durch technischen Fortschritt vereinfacht wird." Deutlich geringer sei der Zuspruch mit 28 Prozent im "Milieu der Sozialökologischen". Die engagierten Gesellschaftskritiker in dieser Gruppe würden zwar die Chance erkennen, andere zu besseren Menschen zu erziehen, doch die Angst vor totaler Überwachung sei größer.

Gäbe es erst einmal ein soziales Bewertungssystem nach chinesischem Vorbild in Deutschland, dann wäre jeder sechste Deutsche dafür, dass Menschen mit niedriger Punktzahl gewisse staatliche oder privatwirtschaftliche Leistungen nicht mehr in Anspruch nehmen können sollten oder anderweitig bestraft werden müssten. Befragt nach einer angemessenen Strafe, sagen 36 Prozent, dass Unternehmen Kunden mit schlechtem Score-Wert ablehnen können sollten. 33 Prozent sind für eine stärkere steuerliche Belastung, 32 Prozent für Geldstrafen. Mit 70 Prozent spricht sich aber eine deutliche Mehrheit gegen Sanktionen für niedrige Punktzahlen aus.

Die Bürger Österreichs, so zeigt eine weitere repräsentative Analyse der INTEGRAL Marktforschung, würden sich von einem Social Scoring wesentlich häufiger persönliche Vorteile versprechen als die Deutschen (54 Prozent in Österreich vs. 23 Prozent in Deutschland). Zudem befürworten die Menschen in der Alpenrepublik stärker als ihre deutschen Nachbarn die Bestrafung von Personen mit niedriger Punktzahl (29 Prozent in Österreich vs. 18 Prozent in Deutschland). (hv)