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Viel Leerlauf in den Kernprozessen

25.02.2021
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Etliche Unternehmen akzeptieren stillschweigend schlechte Rechnungs-Workflows, Mittelmaß in den Einkaufsprozessen und zu viel Handarbeit in der Auftragsabwicklung. Eine Untersuchung zeigt: Es geht auch anders.
  • Kreditorenteams leiden unter starren Systemen und schlechten Abläufen
  • Dem Einkauf fehlt die Unterstützung aus den Chefetagen
  • Im Auftragsmanagement wird oft erfolglos automatisiert

In der Studie "State of Business Execution Benchmarks Report 2021", die vom Münchner Process-Mining-Spezialisten Celonis angestoßen wurde, zeigen sich erstaunlich große Performance-Unterschiede in wichtigen Kernprozessen. Befragt wurden 2000 Führungskräfte aus sechs Ländern und acht Branchen. Dabei standen Kreditorenbuchhaltung, Debitorenbuchhaltung, Einkauf und Auftragsmanagement im Mittelpunkt. In allen vier Bereichen, so zeigt sich, klaffen erhebliche Lücken zwischen durchschnittlicher und Best-in-Class-Performance.

Starre Technologien behindern die Kreditorenbuchhaltung

Beginnen wir mit den Kreditorenteams, denjenigen also, die für die Auszahlung von Lieferanten verantwortlich sind. Sie standen im vergangenen Jahr besonders unter Druck. Aufgrund der Pandemie haben viele Zulieferer versucht, ihre Liquidität zu verbessern und ihr Forderungs-Management intensiviert.

Buchhaltung ist immer noch nicht ausgereizt: Es gibt viele Möglichkeiten, die Prozesse effizienter zu gestalten. Die Best-in-Class-Unternehmen setzen sich hier klar vom Durchschnitt ab.
Buchhaltung ist immer noch nicht ausgereizt: Es gibt viele Möglichkeiten, die Prozesse effizienter zu gestalten. Die Best-in-Class-Unternehmen setzen sich hier klar vom Durchschnitt ab.
Foto: jensanny - shutterstock.com

Für die Verantwortlichen kam es also darauf an, Zahlungstermine bei gestiegenem Druck und höheren Anforderungen einzuhalten. Gleichzeitig mussten hier, wie in allen Backoffice-Funktionen, die Kosten gesenkt werden - und zwar ohne negative Auswirkungen auf andere Key Performance Indicators (KPIs). Eine gute Durchbuchungsquote könnte ja auch zur Folge haben, dass Rechnungen zu früh bezahlt werden, was negative Auswirkungen auf das Working Capital hätte.

Die Analyse zeigt unter anderem, dass ein durchschnittliches Unternehmen seine Lieferanten in 50 Prozent aller Fälle fristgerecht bezahlt, die besten Betriebe (das obere Quartil) bringen es aber auf stolze 77 Prozent. Doppelt bezahlt werden Rechnungen im Mittel in 1,47 Prozent aller Fälle, bei den Besten kommt es aber nur in 0,8 Prozent der Fälle vor. Die mittlere Kreditorenlaufzeit (die Zeit, die sich Unternehmen mit dem Begleichen von Rechnungen Zeit lassen) liegt im Mittel bei 48,4 Tagen, die der Top-Performer aber bei 74,5 Tagen. Und die Kosten pro Rechnung liegen bei den Klassenbesten mit 5,63 Euro weit unter dem Durchschnitt von 14,33 Euro.

Warum ist das so? Die meisten der Befragten (41,1 Prozent) glauben, dass starre Systeme und Technologien die Ursache für die großen Herausforderungen in der Kreditorenbuchhaltung sind. Fehlerhafte und ineffiziente Prozesse nennen 38,9 Prozent und organisatorische Silos sind aus Sicht von 37,2 Prozent der Umfrageteilnehmer das zentrale Hindernis.

"Interessanterweise priorisieren 65 Prozent aller Teams ihre Rechnungen immer noch chronologisch nach Eingangs- oder Fälligkeitsdatum und nicht nach den potenziellen Auswirkungen, die jede Rechnung auf die Ziel-KPIs haben könnte", heißt es in der Studie. Die zuständigen Teams könnten signifikante Verbesserungen in den Kennzahlen erreichen, wenn sie die Störungen in ihren Abläufen beseitigen und Rechnungen nicht chronologisch, sondern entlang der angepeilten Ergebnisse priorisieren würden.

In der Debitorenbuchhaltung liegen Chancen in proaktivem Handeln

Im zweiten Teil der Untersuchung geht es um den Prozess der Debitorenbuchhaltung, also um die Kontrolle und Optimierung der Zahlungseingänge und das Forderungsmanagement. Auch auf diese Funktion hatte Covid-19 Einfluss. Für die Verantwortlichen hatten optimale Liquidität und möglichst wenig offenen Forderungen oberste Priorität. Eine Schlüsselaufgabe dabei ist proaktives Handeln: Anhand von Daten lassen sich kritische Accounts identifizieren und intelligent so priorisiert behandeln, dass es gar nicht erst zum Zahlungsverzug kommt.

Bei den wichtigsten KPIs im Forderungsmanagement fallen zunächst die Unterschiede in der Effektivität auf. Der durchschnittliche Forderungseffektivitäts-Index liegt bei 56,6 Prozent, die führenden Organisationen erreichen jedoch 83,6 Prozent. Auch die Dauer des Zahlungsverzugs weicht deutlich ab: Bei den Besten liegt sie bei nur acht Tagen, das Mittel indes liegt bei knapp 30 Tagen. Ebenfalls starke Abweichungen zwischen Durchschnitt und Best in Class gibt es bei der Forderungsumschlagsquote (eingezogene Forderungen in einem bestimmten Zeitraum): das Verhältnis liegt bei 15 zu 57. Ein weiteres KPI ist die Debitorendurchlaufzeit. Unternehmen brauchen im Mittel 53 Tage, die Besten aber nur 24 Tage.

Debitorenteams sehen ebenfalls starre Systeme und Technologien als Kernproblem (42 Prozent), gefolgt von fragmentierten Datenlandschaften (40,4) und fehlerhaften sowie ineffizienten Prozessen (40 Prozent). Der Studie zufolge haben unter den Betrieben mit weniger als 10.000 Mitarbeitern sogar zwei Drittel Probleme mit unflexiblen Systemen.

Ähnlich wie in der Kreditorenbuchhaltung setzen auch die Debitorenteams oft auf die falschen KPIs. Im Bereich Forderungen werden Rechnungen nach Verweildauer und Betrag priorisiert, statt nach Zahlungswahrscheinlichkeit (71,3 Prozent gehen noch immer so vor). Laut Studie müssten Debitorenteams Forderungen priorisieren, die mit höchster Wahrscheinlichkeit bezahlt werden. nicht einziehbaren Forderungen hinterherzujagen, ist schlecht genutzte Zeit.

Geschäftsführungen vernachlässigen den Einkauf

Auch mit dem Beschaffungswesen oder Einkauf beschäftigt sich die Untersuchung. Dieser Unternehmensbereich hat die Aufgabe, eine kontinuierliche Versorgung mit wichtigen Materialien und Zulieferteilen sicherzustellen, das Lieferantenportfolio laufend zu optimieren und auf diesem Wege auch Innovationen ins Unternehmen zu holen.

Auch wenn es nicht danach aussieht: Im Einkauf wird das Geld verdient. Im B2B-Segment leiden die Einkäufer unter einem Mangel an Zuwendung seitens der Geschäftsleitungen.
Auch wenn es nicht danach aussieht: Im Einkauf wird das Geld verdient. Im B2B-Segment leiden die Einkäufer unter einem Mangel an Zuwendung seitens der Geschäftsleitungen.
Foto: eldar nurkovic - shutterstock.com

Einkäufer müssen Waren und Dienstleistungen zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und zum richtigen Preis bereitstellen, was in Zeiten globaler Unsicherheit herausfordernd ist. Für ihren Wertbeitrag kann es wichtig sein, innovativ mit Partnern zusammenzuarbeiten und Veränderungen in der Lieferkette zu antizipieren, bevor es zu Problemen kommt. Außerdem müssen sie einen belastbaren und zuverlässigen Lieferanten-Pool aufbauen - besonders bedeutend in Krisenzeiten.

Eine wichtige Kennzahl für den Einkauf ist die Lieferzuverlässigkeit der Lieferanten: Ein durchschnittliches Unternehmen wird nur in 54 Prozent aller Fälle fristgerecht beliefert, ein sehr gutes aber in 83 Prozent. Ein weiteres KPI ist die Kenngröße "Spend Under Management" (SUM), die den Anteil des Einkaufs an den gesamten Unternehmensausgaben misst.

Ist diese Kennzahl klein, kann das heißen, dass die Firma Kostensenkungschancen verpasst, zu oft in versprengten Teams unkoordinierte Einzelbeschaffungen tätigt oder schlicht keinen definierten Procurement-Prozess verfolgt. In einem durchschnittlichen Unternehmen gehen 47 Prozent der Ausgaben auf den Einkauf zurück, in einem Best-in-Class-Betrieb sind es stolze 75 Prozent.

Das dritte KPI im Einkauf sind die Bearbeitungskosten je Bestellvorgang. Im Durchschnitt liegen sie bei 12,34 Euro je Order. Die besten Unternehmen aber haben es geschafft, diesen Wert auf 1,11 Euro zu senken.

Warum fällt es Einkäufern schwer, wichtige Ziele wie kurze Durchlauf- und Zykluszeiten oder zufriedene Stakeholder zu erreichen? Die meisten beklagen sich über eine mangelnde Unterstützung seitens der Geschäftsführungen (41,1 Prozent), eine fragmentierte Datenlandschaft (40,7 Prozent) sowie über fehlerhafte und ineffiziente Prozesse (39,3 Prozent). Den Abteilungen fällt es damit schwer, sich weiterzuentwickeln, datenbasiert zu agieren und eine strategische Rolle im Unternehmen einzunehmen - obwohl das Geld bekanntlich im Einkauf verdient wird.

Auftragsmanagement: Große Unterschiede in der Liefertreue

Last, but not least haben sich die Marktforscher mit dem Auftragsmanagement beschäftigt. In der Abwicklung gibt es vielfältige Hürden, sie reichen von Preis- und Mengenänderungen über Bonitätsprüfungen bis hin zu Liefersperren und sorgen dafür, dass oft nicht pünktlich geliefert werden kann. Viele Unternehmen möchten diese Schritte automatisieren oder beschleunigen und dabei vermeiden, andere Ziele, zum Beispiel den pünktlichen Rechnungseingang, zu gefährden.

Ein weiteres Ziel ist es, die Kosten pro Auftrag zu senken, was in der Regel durch die Automatisierung bestimmter Prozesselemente erreicht werden soll. Manche Unternehmen gehen sogar in Richtung "perfekte Bestellabwicklung", was einen hohen Grad an Automatisierung voraussetzt. Erschwerend hinzu kommendie hohen Kundenerwartungen, da Amazon, Zalando & Co. im B2C-Segment gezeigt haben, wie es gemacht wird. Deren Lieferungen kommen in der Regel zuverlässig und mit genauer Vorhersage. Das wird nun auch in der B2B-Auftragsabwicklung erwartet.

Eine wichtige Kennzahl beim Auftragsmanagement ist die Liefertreue. Laut Umfrage liefert ein durchschnittliches Unternehmen in 42,8 Prozent der Fälle pünktlich, während die Top-Performer eine Quote von 91 Prozent erreichen. Abweichungen gibt es auch in der Kundenzufriedenheit (69 gegenüber 90 Prozent) und in den Kosten pro Bestellvorgang (24,12 Euro vs. 8,18 Euro).

Mit welchen Problemen kämpfen die Nachzügler? 45,5 Prozent beklagen einen Mangel an flexiblen Logistiknetzwerken, 41,5 Prozent die fehlende Transparenz in den Geschäftsabläufen und 40,9 Prozent fühlen sich zu schlecht über die Lieferantenleistung informiert. Die Unternehmen setzen durchaus Automatisierungstechnologien ein, können damit aber laut Studie kaum die Komplexität und Starrheit ihrer vorhandenen Systemlandschaften überwinden. Die durchschnittliche Anzahl manueller Schritte pro Bestellung liegt bei 25! Da jeder dieser Schritte durchschnittlich 60 Minuten erfordert, liegt hier viel Spielraum für Verbesserungen.