Digitalisierung beim Industrie-Dienstleister Leadec

So bereitet sich Leadec auf die Fabrik der Zukunft vor

12.11.2019
Von Arno  Laxy
Der Industrie-Dienstleister Leadec digitalisiert seine Geschäftsprozesse durchgängig und konsequent. Damit antizipiert das Unternehmen veränderte Kundenbedürfnisse und macht sich fit für die Fabrik der Zukunft.
Seit 1962 erbringt Leadec Industriedienstleistungen für die Fertigungsindustrie.
Seit 1962 erbringt Leadec Industriedienstleistungen für die Fertigungsindustrie.
Foto: Leadec

"Wir befinden uns in einem Wettrennen und wollen dabei an der Spitze sein, um unseren Kunden die Services liefern zu können, die sie heute erwarten und morgen erwarten werden", formuliert Paulina Lujan das Ziel der Digitalisierung bei Leadec. Als Director Applications Adoption ist sie verantwortlich dafür, dass ihre mehr als 20.000 Kolleginnen und Kollegen an weltweit über 250 Standorten die digitale Transformation annehmen und umsetzen. Seit Herbst 2016 gehört die ehemalige Industriedienstleistungssparte der Voith Group - damals als Voith Industrial Services bekannt - dem Private-Equity-Unternehmen Triton. Damit war zwangsläufig ein klassischer IT-Carveout notwendig. Aber Leadec investiert in mehr als das und geht die Digitalisierung ganzheitlich an, um sich auf künftige Kundenanforderungen vorzubereiten.

Drei Stoßrichtungen

Dabei verfolgt COO Markus Hucko drei strategische Stoßrichtungen: Erstens im Rahmen des IT-Carveout die grundlegende Modernisierung der IT-Infrastruktur; zweitens die Digitalisierung der Kerngeschäftsprozesse, die eine Abbildung der Prozesse in der IT voraussetzt und drittens die Mitgestaltung der intelligenten Fabrik der Zukunft durch bessere und neue Dienstleistungen sowie Geschäftsmodelle.

"Wir wollten die Chance nutzen und beim Carve-out die IT-Infrastruktur insgesamt erneuern. Uns ging es nicht einfach darum, Leadec aus der Voith Group herauszulösen", erläutert Domenico Manzo, Leiter Global IT Operations & Services. So habe man die Gelegenheit genutzt, um eine Modernisierung der gesamten IT zu vollziehen. Dabei wurde jedes Steinchen umgedreht und die IT aus der On-Premises-Welt in die Cloud gebracht.

Design der Infrastruktur

Ein Leadec-Mitrabeiter arbeitet digital in einer Fabrik.
Ein Leadec-Mitrabeiter arbeitet digital in einer Fabrik.
Foto: Leadec

Beim Design der künftigen Infrastruktur waren spezielle Rahmenbedingungen zu beachten. So ist Leadec sehr dezentral aufgestellt und beschäftigt eine hohe Zahl an Mitarbeitern, die ständig remote arbeiten. Außerdem galt es, die Investitionen in Hardware möglichst gering zu halten. Erschwerend kommt hinzu, dass der IT-Arbeitsmarkt derzeit sehr umworben ist. Deswegen ist es schwierig, schnell eigene Personalkapazitäten im Infrastrukturumfeld aufzubauen. Aus diesem Grund verfolgt Leadec die Strategie, Standardtätigkeiten als Service einzukaufen, anstatt sie selbst zu erbringen. "Wir haben uns entschieden, keine eigenen On-Premises-Rechenzentren aufzubauen, sondern 90 Prozent in die Public Cloud zu migrieren. Durch "Infrastructure-, Platform- und Software as a Service" schaffen wir es nicht nur, schnell und agil auf neue Anforderungen zu reagieren, sondern sind auch sehr kosteneffizient," erzählt Domenico Manzo.

Digitalisierung der Prozesse

Parallel dazu ging Leadec die Digitalisierung der eigenen Geschäftsprozesse an. Diese waren bisher nicht weltweit durchgängig konzipiert, sondern entwickelten sich lokal, vor Ort beim Kunden und wurden oft noch auf Papier festgehalten. COO Hucko sieht jedoch, dass die Kunden künftig mehr Transparenz und Nachweise über die Leistungserbringung in Echtzeit verlangen werden, was digitale Lösungen erfordert. Lujan bestätigt die Situation am Beispiel von Leadec in Großbritannien: "Als ich 2015 startete, gab es keine Kommunikation zwischen den drei Standorten eines Kundenunternehmens, das wir betreuen. Es wurde mit unterschiedlichen Prozessen gearbeitet, die Arbeitsleistung unserer Mitarbeiter unterschiedlich erfasst. Doch plötzlich wechselte der Kunde zu einem einheitlichen Modell und verlangte von uns als Lieferanten ebenfalls eine einheitliche Service-Bereitstellung". Da traf es sich gut, dass Leadec längst dabei war, seine Prozesslandschaft zu harmonisieren und zu digitalisieren.

Alle Arbeiten - wie hier etwa Reinigungsarbeiten - sollen künftig digital dokumentiert werden.
Alle Arbeiten - wie hier etwa Reinigungsarbeiten - sollen künftig digital dokumentiert werden.
Foto: Leadec

Kernelement ist die auf den Namen COSMOS getaufte Vertriebs- und Service-Management-Lösung: Common Solution for digital sales management and service execution. Der Name steht für die durchgängige Digitalisierung von einem Lead im Vertrieb oder dem Business Development bis zur Rechnungsstellung durch die Buchhaltung. Die Grundidee ist dabei, eine standardisierte End-to-End-Sicht auf alle Prozesse zu erhalten.

"Bevor wir ein System implementierten, mussten wir uns auf ein weltweites Prozessmodell verständigen", gab der COO die Marschrichtung vor. Denn ohne den Prozess identifiziert zu haben, ist es schwierig, ein System zu implementieren. Gemeinsam mit einem externen Consulting-Unternehmen machte sich ein hausinternes Team an ein Harmonisierungs-Projekt, bei dem es die zentralen, zu digitalisierenden Prozesse in Vertrieb, Bestell-Management und der Service-Erbringung erfasste. Damit wurden die Grundlagen für ein einheitlichesService-Delivery-Modell gelegt.

Salesforce als Standardsoftware

Leadec verfolgt mit der Digitalisierung drei Stoßrichtungen.
Leadec verfolgt mit der Digitalisierung drei Stoßrichtungen.
Foto: Leadec

Auf dieser Basis suchte Leadec zusammen mit den Beratern nach einer Standardsoftware. Nach einem längeren Auswahlprozess fiel die Wahl auf Salesforce, das das Unternehmen auch gute Implementierungspartner hatte. Seit September 2018 rollt Leadec die Salesforce-Lösung aus. Sie umfasst die Sales Cloud für den Vertrieb, also den Offer-to-Order-Prozess, und die Service Cloud für den gesamten Order-to-Execution-Prozess, sprich die gesamten Abläufe von der Bestellung bis zur Durchführung des Service.

Die Sales Cloud ist seit Januar 2019 in allen Regionen live im Einsatz. "Wir mussten unsere vertrieblichen Aktivitäten deutlich steigern, um unsere ambitionierten Wachstumsziele zu erreichen. Das brauchte auch die Unterstützung durch ein sehr gutes IT-System", blickt COO Hucko zurück. Jetzt sind alle Vertriebsvorgänge sichtbar. Die enthaltenen Reporting-Tools erfassen den aktuellen Stand der Vertriebstätigkeit, die Zielerreichung, die Angebots-Pipeline und vieles mehr. Damit hat die Geschäftsführung ein sehr leistungsfähiges Reporting, das ihr alle Vertriebsaktivitäten und Chancen über alle Regionen und Länder hinweg übergreifend zeigt.

Transparenz dank digitaler Transformation

Die zweite Komponente der digitalen Transformation ist die Service Cloud. Leadec kann nun erstmals die Service-Tätigkeiten in den Fabriken direkt auf Grundlage der vertraglich vereinbarten Leistungen im System flexibel planen. Diese Tätigkeiten werden vom System angestoßen und sind darin sichtbar. Je nach Prioritäten, Terminlage und Fähigkeiten werden die geeigneten Servicemitarbeiter den entsprechenden Aufgaben zugeordnet. Auch auf Planänderungen kann leicht reagiert werden. Die Mitarbeiter wiederum können beispielsweise das Reinigen einer Lackieranlage in einer Fabrik direkt mit Fotos dokumentieren. Damit werden die durchgeführten Services transparent und lassen sich jederzeit nachverfolgen. Zusätzlich wird so eine Datenhistorie zu den betreuten Anlagen aufgebaut. Der Kunde kann die geleistete Arbeit direkt auf einem mobilen Endgerät bestätigen und eine Freigabe erteilen.

Die Einsatz- und Kapazitätsplanung der Mitarbeiter erfolgt also über das System. Urlaubs- und Trainingszeiten, relevante Ausbildungen und Fähigkeiten werden darin praktisch verwaltet. Die Verfügbarkeit der Mitarbeiter und der Arbeitsvorrat sind auf Knopfdruck abrufbar, so dass Standortleiter Unterkapazitäten rechtzeitig erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen können. Das Service-Task- und Workforce-Management-System ist somit das Herzstück des operativen Tagesgeschäfts von Leadec.

Neue Arbeitsabläufe

Mit der Digitalisierung verändern sich bei Leadec Arbeitabläufe und -prozesse fundamental.
Mit der Digitalisierung verändern sich bei Leadec Arbeitabläufe und -prozesse fundamental.
Foto: Leadec

Gleichzeitig mit der Digitalisierung verändert Leadec Arbeitsabläufe und -prozesse fundamental. Der Weg dahin ist allerdings ein Kulturwandel - Mitarbeiter müssen umdenken und auf gewohnte Routinen verzichten, Neues lernen, auch wenn der Mehrwert für sie nicht sofort sichtbar ist. Als erfahrene C-Level Managerin, die das Geschäft seit vielen Jahren kennt und gut im Unternehmen vernetzt ist, bereist Lujan jetzt die Leadec-Standorte weltweit, um diesen Kulturwandel auch vor Ort zu begleiten und zu fördern. Denn das Veränderungs-Management gewinnt an Bedeutung. Eine weitere Erkenntnis aus den ersten Pilotprojekten ist auch, dass parallel zum Aufbau des Systems die Schulung der Mitarbeiter erfolgen muss. Hier gilt: je spezialisierter das Training auf unterschiedliche Personen, deren Rollen und Aufgaben zugeschnitten ist, desto besser.

Insgesamt hat sich das Unternehmen zum Ziel gesetzt, bis Ende 2020 70 Prozent seiner Standorte, also weltweit mehr als 150, zu digitalisieren. Dort sollen überall standardisierte Prozesse und moderne digitale Lösungen und Tools eingesetzt werden. Spricht man Hucko auf die größten Herausforderungen dabei an, muss er nicht lange nachdenken: "Wir haben massive Umbauten in allen Bereichen der IT, und das zur gleichen Zeit. Das bringt uns schon an die Grenze der Leistungsfähigkeit der Organisation. Wir koordinieren die vielfältigen Prioritäten mit einer kleinen Mannschaft, und wir müssen die Projekte optimal aufeinander abstimmen."

IoT gewinnt an Bedeutung

Wartungsarbeiten werden künftig per IoT mit Predictive-Maintenance-Algorithmen gesteuert.
Wartungsarbeiten werden künftig per IoT mit Predictive-Maintenance-Algorithmen gesteuert.
Foto: Leadec

Aber damit nicht genug - die Service-Cloud-Plattform wird zukünftig auch ein wichtiger Baustein für IoT-basierte Systeme, Lösungen und Dienstleistungen sein. So können beispielsweise notwendige Wartungsarbeiten vorbeugend über intelligente Predictive-Maintenance-Algorithmen angesteuert werden. Diese laufen in der eigenen Service-Cloud und greifen auf externe Sensordaten zu, oder docken an Plattformen anderer Anbieter an. Auch hier wird das digitale Auftrags-Management das Herzstück für Leadec sein.

Letztlich wird die Digitalisierung die Fabrik der Zukunft massiv verändern. "Wir erwarten, dass Kunden von uns verlangen, uns in ihre Ökosysteme, die ihre Fabriken steuern, zu integrieren und mit diesen zu interagieren" blickt COO Hucko in die Zukunft. Gleichzeitig ist das Unternehmen damit konfrontiert, dass neue Technologien die Art und Weise, wie es seine Services erbringen kann, massiv verändern. So wird beispielsweise die Analyse von Daten dabei helfen, neue Erkenntnisse zu generieren.

Bei ersten Kunden funktioniert dies bereits. Nach einem Roboterausfall haben die Mitarbeiter von Leadec in Zusammenarbeit mit einem Partner rückwirkend alle Daten des Roboters analysiert. Sie haben Muster erkannt, die zu Ausfällen führen können, und vorgeschlagen, die Instandhaltung soweit zu verbessern, dass man auf Basis der Maschinendaten gegensteuern kann.

Smart Factory Group blickt in die Zukunft

Für das Ökosystem der Zukunft gründete Leadec eine Smart Factory Group.
Für das Ökosystem der Zukunft gründete Leadec eine Smart Factory Group.
Foto: Leadec

Die Nachfrage der Kunden nach IoT-Anwendungen zieht an, wie man bei Leadec beobachtet. Hier entstehen neue Geschäftsmodelle und Leadec sieht sich als neutraler Dienstleister gut positioniert. Zudem kommt die Öffnung der Marktteilnehmer dem Unternehmen entgegen. So kooperiert man etwa mit Branchengrößen wie Bosch oder Munich Re.

Diesen Platz in den derzeit entstehenden datenbasierten Ökosystemen zu definieren und auszufüllen, damit beschäftigt sich bei Leadec die neu gegründete Smart Factory Group. Diese soll einerseits neue Technologien in das bestehende Dienstleistungs-Portfolio integrieren und gleichzeitig neue, digital-basierte Dienstleistungen entwickeln: "Um das Potenzial der digitalen Transfomation auszuschöpfen, müssen wir verstehen", so Bernd Voelpel, Leiter der Smart Factory Group, "dass neue Technologien Geschäftsmodelle ermöglichen, die vorher nicht realisierbar waren und neue Formen der Zusammenarbeit erfordern."

In der aktuellen Digitalisierungswelle sieht sich das Unternehmen im eigenen Marktsegment der Industriedienstleistungen gut aufgestellt. Erstmals erscheinen Vertrieb und Service-Management in einem ganzheitlichen Überblick, sind Arbeitsprozesse einheitlich und vergleichbar, der Vergleich von Angebot und tatsächlicher Leistung möglich. Außerdem wird das Dienstleistungsangebot um neue innovative Applikationen und Lösungen erweitert, die digitale Disruption als Chance begreifen und anpacken.