CIO des Jahres 2019 – Großunternehmen – Platz 1

Siemens CIO: Wer umbaut, sollte mit offenen Karten spielen

21.11.2019
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
So wie CEO Joe Kaeser die Siemens AG neu ausrichtet, hat der bald scheidende CIO Helmuth Ludwig die weltweite IT-Organisation transformiert. Dafür wählte ihn die Jury zum CIO des Jahres 2019.
Auch Führung ist Teamwork: Helmuth Ludwig (3. v. re.) inmitten seines Management-Teams. Noch bis zum 31. Dezember 2019 ist er bei Siemens an Bord, am 1. Januar 2020 übergibt er an Hanna Hennig, Noch-CIO bei Osram.
Auch Führung ist Teamwork: Helmuth Ludwig (3. v. re.) inmitten seines Management-Teams. Noch bis zum 31. Dezember 2019 ist er bei Siemens an Bord, am 1. Januar 2020 übergibt er an Hanna Hennig, Noch-CIO bei Osram.
Foto: Siemens

Sparen, Synergien heben, liefern - das war das zentrale Mantra, dem die Siemens-IT über viele Jahre folgte. Im Vordergrund standen Produktivität und Effizienz, lassen sich in einem Konzern dieser Größenordnung doch immer irgendwo Kosten senken. Unter CEO Joe Kaeser änderte sich dann der Kurs vollständig: Den Status quo zu sichern, so erkannte der Vorstandsvorsitzende, wird nicht ausreichen. Jetzt ging es darum, den schlafenden Riesen zu wecken und die Zukunft zu gestalten.

Die Jury sagt: "Große Tanker sind schwer zu wenden. Ludwig verbindet beeindruckend die Vorteile einer zentralisierten Herangehensweise mit der klaren Delegierung von Verantwortung und den Freiheiten einer dezentralen Arbeitsweise. Sein Vorgehen besticht dabei vor allem durch Nähe und Kommunikation."

Kundennähe rückte in den Vordergrund und dafür auch flexible Organisationsstrukturen. Dezentralität wagen, Verantwortung delegieren, aus dem Mischkonzern einen Flottenverband leistungsfähiger und fokussierter Unternehmen machen und Kosten und Synergien nicht aus den Augen verlieren - so lässt sich der neue Siemens-Kurs beschreiben. CIO Helmuth Ludwig stand vor der Aufgabe, für ein solches Konzerngebilde die passenden IT-Strukturen zu schaffen.

Im Herzen locker: Ludwig (li.) beim Innovationsfestival Futureland 2018 ...
Im Herzen locker: Ludwig (li.) beim Innovationsfestival Futureland 2018 ...
Foto: Siemens

Um die IT-Transformation voranzutreiben, beschäftigten sich Ludwig und sein Team erst einmal mit der Organisation. Zunächst wurde die Fertigungstiefe in der IT überprüft: Was wollen wir selbst machen, was auslagern? Im Rahmen eines Outsourcing-Projekts wechselten IT-Mitarbeiter aus Deutschland zu externen Partnern, zusätzlich wurden Stellen reduziert und teilweise in Zukunftsfeldern neu geschaffen.

Siemens verlagerte mehr Aufgaben an Near- und Offshore-Standorte - auch um sich international optimal zu positionieren und die besten Talente zu sichern. Im nächsten Schritt schuf Ludwig ein neues "Operating Model" für die Konzern-IT. Es enthält drei Kernelemente, genannt Value Center, Business Partner und Use IT.

Die Value Center übernehmen die End-to-End-Verantwortung für IT-Services und konzentrieren sich darauf, Mehrwerte für die Kunden zu schaffen. Eine Art Account-Management-Funktion haben die Business Partner, die in die Fachbereiche umzogen, um die notwendige Verschmelzung von IT und Business voranzutreiben.

Die Mitarbeiter der Use IT indes begleiten den Lebenszyklus von IT-Services einschließlich Trainings, Einführungsstrategien, Kommunikation und Anwenderbetreuung. Mit dem Umbau ersetzte Siemens die hierarchisch geprägten Linienstrukturen durch ein globales, kollaboratives IT-Netzwerk, das sich ganz auf wertstiftende Aufgaben wie Anwenderzufriedenheit, innovative Projekte und Kundennutzen konzentriert.

Frank Riemensperger, Geschäftsführer von Accenture und Mitglied der CIO-desJahres-Jury, lobt den entschlossenen Ansatz von Ludwig: "Zum 1. April 2019 wurden rund 60 Prozent der IT-Mitarbeiter direkt in den Geschäftsbereichen angesiedelt. Dort agieren sie selbständig als agile Communities, die in CoCreation mit den Fachbereichen innovative Kundenlösungen entwickeln." So habe Siemens Hierarchien in der IT abbauen und den Anteil agiler Projekte signifikant erhöhen können.

... organisiert vom internen Startup IDEA Company, um Siemens in der Transformation mitzunehmen.
... organisiert vom internen Startup IDEA Company, um Siemens in der Transformation mitzunehmen.
Foto: Siemens

Dass so ein Transformationsprozess nicht ohne Reibungen verläuft, daraus macht Ludwig kein Hehl. "Es wäre naiv zu erwarten, dass solch eine Reise innerhalb der eigenen Komfortzone stattfinden kann", sagt Ludwig. Er empfiehlt, in einem solchen Umbau die Augen offen zu halten und sich nicht zu stark auf die "schöne, neue Welt", die es zu erreichen gilt, zu fokussieren.

Strapazen und Herausforderungen müssten benannt werden, ansonsten sei jegliche Glaubwürdigkeit in Gefahr. Und natürlich: "Es kann gar nicht genug kommuniziert werden, insbesondere der persönliche Austausch muss im Vordergrund stehen." Wenn Menschen vor große Herausforderungen gestellt würden, müssten sie den Sinnzusammenhang umfassend verstehen. Auch sei es sinnvoll, ihnen motivierende Angebote zu machen, etwa zu Themen wie Agile, Design Thinking oder KI.

Siemens verfolgt all die Themen, die ein moderner Industriekonzern heute verfolgen muss: die Optimierung von Prozessen mit Hilfe von Robotic Process Automation (RPA) etwa, Low-Coding-Projekte auf Basis der zugekauften Plattform Mendix, Digital Twins mit Siemens-eigenen Produkten wie Teamcenter, NX und Camstar oder auch die Einführung eines neuen ERP-Systems - dabei praktizieren die Münchner einen "disruptiv neuen Ansatz, jenseits monolithischer Systeme", so Ludwig, und die Auswahl des Providers erfolge ergebnisoffen.

Doch all diese Projekte, die auch eine Multi- und HybridCloud-Strategie einschließen, sind als Gesamtleistung vernachlässigbar gegenüber der Transformation der Siemens-IT: Ludwig und sein Team haben wesentlich dazu beigetragen, den großen Tanker Siemens zu wenden und fit für die Zukunft zu machen. Diese wird, so ist sich Ludwig sicher, keineswegs gemütlich. Die Fähigkeit zu schnellen Veränderungen wird auch für die Bayern erfolgsentscheidend.