Hintertüren in Verschlüsselung
EU-Staaten wollen digitale Überwachung ausbauen
Datum:10.11.2020
Autor(en):Martin Bayer
Die EU-Staaten wollen die Verschlüsselung der Telekommunikation in Messenger-Diensten
aushebeln. Anbieter sollen per Gesetz verpflichtet werden, Hintertüren einzubauen,
damit Geheimdienste Zugriff haben.Nach den jüngsten islamistischen Terroranschlägen in Frankreich und Österreich wollen die EU-Staaten Anbieter von Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Telegram offenbar dazu zwingen, Hintertüren in die Verschlüsselung der Kommunikation einzubauen. Das geht aus einem unter Verschluss gehaltenen Entwurf des Ministerrats hervor. Einzelheiten daraus sickerten an den Österreichischen Rundfunk (ORF) durch, der darüber berichtete1.
Geheimdienste sollen mehr Befugnisse bekommen, die Kommunikation von Messenger-Diensten
in Europa abzuhören.
Foto: Taiga - shutterstock.com
In dem Papier mit dem Titel "Sicherheit durch Verschlüsselung und Sicherheit trotz Verschlüsselung" geht es darum, Anbieter wie Facebook zu verpflichten, Generalschlüssel für Dienste wie Whatsapp oder Facebook Messenger bei europäischen Behörden zu hinterlegen. Damit könnten Polizei und Geheimdienste jede Art von verschlüsselter Kommunikation knacken und mithören. Wie der ORF weiter berichtet, soll der Entwurf im Eilverfahren durch die EU-Instanzen gepeitscht werden. Bereits Anfang Dezember könnte das Dokument auf dem Tisch der EU-Kommission liegen, mit dem Auftrag, eine entsprechende Verordnung auszuarbeiten, die die Einzelstaaten dann umsetzen müssten.
Grundprinzip der Sicherheit ausgehebelt
Wenig überraschend laufen Datenschützer Sturm gegen die Pläne. "Verschlüsselung ist ein - um nicht zu sagen das wichtigste - Instrument für sichere Kommunikation im Netz", sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Internetverbandes eco2, Klaus Landefeld. Neben der Sicherheit und dem Datenschutz stärke sie auch das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer in Internetdienste. "Ein Generalschlüssel für Messenger-Dienste würde das Grundprinzip dieses Instruments aushebeln und damit die digitale Kommunikation aller Nutzerinnen und Nutzer unsicherer machen."
Landefeld bezeichnete die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als wichtig. Das dürfe aber nicht auf Kosten der Sicherheit gehen. Vielmehr sollten sich die EU-Staaten in Ihrer Terrorabwehrstrategie auf Schwachstellen konzentrieren. Gerade der Anschlag in Wien habe eine mangelhafte Kommunikation zwischen Behörden und Geheimdiensten der unterschiedlichen Mitgliedstaaten offenbart.
Deutschland erweitert Befugnisse der Geheimdienste
Die Begehrlichkeiten der Geheimdienste für mehr Überwachung wachsen. Erst im Oktober hatte ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Verfassungsschutzrechts3 für Schlagzeilen gesorgt. Auf Vorschlag des Bundesinnenministeriums sollen der Bundesverfassungsschutz, alle 16 Landesämter für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) - sanktioniert durch die sogenannte Quellen-Telekommunikations-Überwachung (TKÜ) - Dienste wie Facebook Messenger oder WhatsApp via Staatstrojaner überwachen dürfen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer zeigte sich in einer Mitteilung hochzufrieden: "Ich kann nicht akzeptieren, dass unsere Sicherheitsbehörden den Feinden unserer Demokratie wegen mangelnder Befugnisse hinterherlaufen." Das Gesetz sei ein überfälliger "Schritt im Kampf gegen Terroristen und militante Extremisten". Deutschland brauche einen Verfassungsschutz, der auch im digitalen Zeitalter "sehen und hören" könne. Nur so könne man den "extremistischen Geschwüren in unserer Gesellschaft" etwas entgegensetzen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will nicht länger akzeptieren, "dass unsere
Sicherheitsbehörden den Feinden unserer Demokratie wegen mangelnder Befugnisse hinterherlaufen".
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Weniger zufrieden äußerte sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) Ulrich Kelber4. Die bestehende Gesetzeslage rechtfertige nicht die Einführung solch massiver Eingriffe in die Privatsphäre, kritisierte der Datenschützer: "Die Gerichte haben einen deutlichen Reformbedarf in den Gesetzen der Nachrichtendienste aufgezeigt. Statt diese dringenden Reformen anzugehen, sollen nun neue Überwachungsmöglichkeiten geschaffen werden." Kelber forderte zuletzt wiederholt ein Sicherheitsgesetz-Moratorium sowie eine unabhängige wissenschaftliche Analyse der bestehenden Gesetze.
Wie viel Überwachung verträgt eine Demokratie?
Der BfDI sieht Mängel im aktuellen Gesetzesentwurf. Beispielsweise legt das Gesetz den Umfang der Informationserhebung nicht klar fest, hieß es in einer Mitteilung der Behörde. Dadurch bestehe die Gefahr, dass aus der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) vielmehr eine "Onlinedurchsuchung" wird, die eigentlich gerade nicht eingeführt werden soll.
Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit,
sieht die Gefahr, dass der Grad der Überwachung das für eine Demokratie erträgliche
Maß übersteigt.
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Außerdem entsprächen die Voraussetzungen für die Durchführung von Ausspähmaßnahmen weitgehend denen der Befugnisse zur Quellen-TKÜ im Polizeibereich. Dies verstößt nach Auffassung des BfDI gegen das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten. Kelber warnte eindringlich: "Es besteht die Gefahr, dass das Ausmaß der staatlichen Überwachung in der praktischen Anwendung das für eine Demokratie erträgliche Maß übersteigt."
Links im Artikel:
1 https://fm4.orf.at/stories/3008930/2 https://www.eco.de/
3 https://www.computerwoche.de/a/geheimdienste-duerfen-messenger-ueberwachen,3549988
4 https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Pressemitteilungen/2020/27_Kritik-TK%C3%9C-2020.html
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