Studie No-Code/Low-Code 2022

Licht und Schatten

25.01.2023
Von 
Dr. Andreas Schaffry ist freiberuflicher IT-Fachjournalist und von 2006 bis 2015 für die CIO.de-Redaktion tätig. Die inhaltlichen Schwerpunkte seiner Berichterstattung liegen in den Bereichen ERP, Business Intelligence, CRM und SCM mit Schwerpunkt auf SAP und in der Darstellung aktueller IT-Trends wie SaaS, Cloud Computing oder Enterprise Mobility. Er schreibt insbesondere über die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen IT und Business und die damit verbundenen Transformationsprozesse in Unternehmen.
Die Mehrzahl der Firmen verfolgt bei No-Code/Low-Code eine Multiplattformstrategie mit steigendem Einsatz. Ausbaufähig ist der Reifegrad des Citizen Development.
No-Code/Low-Code im Unternehmenseinsatz: Es gibt sowohl Licht als auch Schatten.
No-Code/Low-Code im Unternehmenseinsatz: Es gibt sowohl Licht als auch Schatten.
Foto: mertkan_mert - shutterstock.com

Die Digitalisierung von Prozessen und Workflows, die datengetriebene Geschäftsmodelle erst ermöglichen, lässt sich mithilfe zeitgemäßer No-Code-/Low-Code-Plattformen deutlich voranbringen. Unternehmen haben dies offenbar erkannt - inzwischen nutzen je fast ein Drittel von ihnen zwei oder drei und knapp ein Viertel sogar vier bis fünf solcher Plattformen. Nur sechs Prozent der Firmen beschränken sich auf den Einsatz einer einzigen Plattform. Das ist das Kernergebnis der aktuellen Studie zu "No Code/Low Code", die CIO, CSO und COMPUTERWOCHE mit den Partnern Neptune Software, Nintex, PMI, ServiceNow, WEBCON, Workato, ESCRIBA, HCL Software, SPIRIT/21, PKS und Simplifier realisiert haben.

"Unternehmen setzen aus verschiedenen Gründen auf eine Multiplattformstrategie - nicht zuletzt, um das Risiko einer Herstellerabhängigkeit zu minimieren. Bei dieser Strategie ist es wichtig darauf zu achten, dass sich die unterschiedlichen Plattformen bestmöglich in bestehende IT-Architekturen integrieren lassen und so zum Erfolg der Unternehmenslösungen beitragen können", kommentiert Dirk Redeker, Senior Solution Consultant App Engine, Service-now.com GmbH, das Ergebnis. Und Bodo Giegel, Business Head DACH, Project Management Institute (PMI), ergänzt: "Die jeweiligen No-Code-/Low-Code-Plattformstrategien sind immer im individuellen Kontext des jeweiligen Unternehmens zu treffen. Erfolgskritisch ist eine einheitliche Vorgehensweise und ein gemeinsames Verständnis zwischen der zentralen IT und den Fachbereichen beziehungsweise den IT-Anwendern zur Anwendung von No-Code-/Low-Code-Plattformen."

Zur Studie 'No-Code /Low-Code 2022' im Aboshop

Diversität ist Trumpf

"Wie bei klassischen Entwicklungs-Frameworks ist auch bei No-Code/Low-Code die Entscheidung sinnvoll, nicht nur auf ein Pferd zu setzen. Durchsetzen werden sich nachhaltige, möglichst flexibel host- und einsetzbare Plattformen, ohne nutzungsbasierte Kosten, geringer Herstellerbindung und bestmöglicher Unterstützung", präzisiert Ralph Briegel, Softwarearchitekt im Bereich Platform Solutions, SPIRIT/21 GmbH. Bei den meisten Befragten, die zwei oder mehrere No-Code-/Low-Code-Plattformen nutzen, ist deren Einsatz auf Geschäftsvorfälle im CRM-Umfeld (34 Prozent) und im ERP-Bereich (31 Prozent) ausgerichtet, bei 22 Prozent auf die Entwicklung von Dialog- und Portalanwendungen.

Spezielle Plattformen werden aber auch für Entwicklungen im HR-Bereich (19 Prozent) sowie für dokumentenintensive Verwaltungsprozesse und die Erstellung digitaler Workflows (jeweils 16 Prozent) verwendet. Ann-Kathrin Stückl, UI/UX Consultant, PKS Software GmbH, bestätigt diesen Trend: "Besondere Gegebenheiten erfordern besondere Maßnahmen - so auch beim Thema No-Code/Low-Code. Was die Studie zeigt, kennen wir aus unserer langjährigen Erfahrung im IBM i-Umfeld. Durch ein No-Code/Low-Code-Framework zur Entwicklung mobiler Anwendungen und Apps, das sich direkt in diese Systemplattform integriert, lässt sich die Zukunftsfähigkeit der damit erstellten und über Jahre gewachsenen Applikationen gewährleisten."

Nur zehn Prozent der Unternehmen nutzen eine Plattform, die sich universell einsetzen lässt. Den Grund dafür sieht Jürgen Erbeldinger, CEO ESCRIBA AG, darin, dass "One-for-All-Plattformen zwar grundsätzlich universell einsetzbar sind, ihnen aber die entsprechende Tiefe fehlt, wenn es um komplexe, fachspezifische Prozesse geht. Spezialisierte Plattformen bringen die nötigen Voreinstellungen und fertige Konfigurationen oft schon out-of-the-box mit, sodass Anwendungen noch schneller produktiv sind."

No-Code-/Low-Code-Einsatz wird ausgebaut

Eine weitere wichtige Erkenntnis: Über zwei Drittel der Befragten (67 Prozent), die Software mit No-Code-/Low-Code-Plattformen entwickeln, rechnen damit, dass der Einsatz dieser Plattformen in den kommenden drei Jahren zunehmen (53 Prozent) oder stark zunehmen (14 Prozent) wird. Für Christoph Garms, Geschäftsführer Neptune Software Deutschland, ist dies eine logische Entwicklung. "Um der steigenden Nachfrage nach individuellen Applikationen und damit einhergehenden hybriden Systemlandschaften jetzt und in Zukunft gerecht zu werden, müssen die Unternehmen ihren IT-Abteilungen die passenden Tools an die Hand geben. Low-Code ist das richtige Werkzeug, mit dem Projektteams digitale Lösungen auch wirklich agil entwerfen können."

Dass nur 29 Prozent der Befragten erwarten, dass die Nutzung von No-Code-/Low-Code-Plattformen in drei Jahren noch auf dem heutigen Niveau sein wird, überrascht daher genauso wenig wie die Tatsache, dass nur eine kleine Minderheit von vier Prozent an eine rückläufige Entwicklung glaubt. Nikolaos Kalivianakis, Regional Vice President Central Europe bei Workato, sieht die Attraktivität von No-Code-/Low-Code-Plattformen gerade darin, "dass sich Anwendungen und Geschäftsprozesse damit automatisieren und beschleunigen lassen - und das mit wenig Aufwand. Das entlastet die IT-Abteilung, die so mehr Ressourcen vor allem für komplexe Aufgaben hat, und führt zugleich zu einer hohen Kostenersparnis."

Kosten sparen, Apps zügig erstellen

Das zeigt: Der No-Code-/Low-Code-Einsatz ist kein "Nice-to-have", sondern er muss stets einen klar zählbaren Nutzen bieten. Die Befragten erwarten vor allem die von Kalivianakis angesprochenen Kostensenkungen (40 Prozent), aber auch eine beschleunigte Erstellung von Apps (37 Prozent) und die konsequente Ausrichtung dieser Apps am Business (36 Prozent). Knapp ein Fünftel derer, die Software per No-Code oder Low-Code entwickeln, versprechen sich davon eine Verbesserung in puncto Governance, jeweils 21 Prozent hoffen auf bessere Usability und größere Prozesseffizienz.

"Low-Code- und No-Code-Entwicklungsplattformen machen es jedem im Unternehmen möglich, Softwareanwendungen zu erstellen und nach ihren Wünschen flexibel anzupassen, unabhängig, ob Programmierkenntnisse oder -wissen vorhanden ist. Dadurch können sich die IT-Mitarbeiter auf technisch anspruchsvolle Projekte mit hoher Priorität konzentrieren und Mitarbeiter aus den Fachabteilungen haben so mehr Zeit, innovative Denkansätze umzusetzen", so Cosima von Kries, Pre-Sales-Director EMEA bei Nintex Inc. Philipp Erdkönig, Partner Channel Manager, Webcon Sp. z o.o., bringt einen weiteren Aspekt ins Spiel. "Das oberste Ziel von CIOs besteht darin, IT-Lösungen mit Low Code zu entwickeln, die sich sehr eng an den Anforderungen des Business orientieren. Da diese sich dynamisch verändern, muss es möglich sein, bereitgestellte Lösungen jederzeit flexibel anzupassen, ohne so wichtige Faktoren wie Kosten und schnelle Verfügbarkeit außer Acht zu lassen."

Es verwundert daher nicht, dass sieben von zehn Unternehmen sagen, die von ihnen entwickelten No-Code-/Low-Code-Applikationen seien von zentraler oder eher zentraler Bedeutung für das Business. "IT-Abteilungen, die einen No-Code-/Low-Code-Ansatz bei der App-Entwicklung verfolgen, können einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bei der Digitalisierung erzielen, da sich auf diese Weise schnell und einfach genau die Apps erstellen lassen, die Fachbereiche so dringend benötigen", bestätigt Christoph Garms. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass besonders mittelgroße Firmen die "zentrale" oder "eher zentrale" Rolle der No-Code-/Low-Code-Anwendungen für das Business (78 Prozent) betonen. Aber auch kleinere Betriebe profitieren mehrheitlich davon (70 Prozent), während dasselbe nur auf 67 Prozent der großen Unternehmen zutrifft.

No Code/Low Code noch kein "neues Normal"

Die Studie zeigt allerdings auch, dass die No-Code-/Low-Code-Entwicklung längst noch nicht das "neue Normal" ist. "Wenn 79 Prozent der Befragten angeben, in den letzten fünf Jahren nur fünf oder weniger No-Code-/Low-Code-Projekte umgesetzt zu haben, erfüllt ein Großteil der Plattformen das Versprechen, als Digitalisierungsbeschleuniger zu wirken, überhaupt nicht", verdeutlicht Philipp Erdkönig. Seiner Erfahrung nach können Unternehmen, "die die richtige Low-Code-Plattform einsetzen, über sie in der Regel bereits nach zwei Jahren dutzende IT-Anwendungen pro Jahr ausliefern."

Dirk Redeker sieht noch eine weitere Ursache für das Zögern in puncto No-Code-/Low-Code-Projekten. "Die Entwicklung aufseiten der Hersteller solcher Plattformen geht der Umsetzung aufseiten der Unternehmen stets voraus. Somit ist das 'noch nicht' hier besonders zu betonen. Dass grafische Entwicklungs-Tools, die auf No-Code/Low-Code Basis arbeiten, zeichenorientierte Entwicklungswerkzeuge mit der Zeit verdrängen werden, ist absehbar und unumgänglich."

Citizen Development mit viel Luft nach oben

Im Zusammenhang mit der No-Code-/Low-Code-Entwicklung lässt vielerorts der "Reifegrad" in Bezug auf das Citizen Development, also die "Laienentwicklung", zu wünschen übrig. "Damit auch Fachbereiche ihre Prozesse zukunftsfähig gestalten können, sollten alle Mitarbeitenden, nicht nur die in der IT in der Lage sein, Abläufe und notwendige Änderungen eigenständig und ohne tiefe Programmierkenntnisse steuern zu können. Wie die Studie zeigt, ist dies noch nicht der Alltag in vielen deutschen Unternehmen", konstatiert Nikolaos Kalivianakis. Den höchsten Reifegrad (Stufe 5 - Innovation) haben bislang nur acht Prozent der Unternehmen erreicht.

Fast die Hälfte der Befragten (49 Prozent) verfügt in puncto Citizen Development über keinerlei Know-how (Stufe 0; vier Prozent), wenig Erfahrung im kleinen Rahmen (Stufe 1 - Evaluierung; 19 Prozent) oder führt noch erste Pilotprojekte durch (Stufe 2 - Pilotierung; 26 Prozent). "Ein solcher Reifegrad reicht noch nicht aus, um handfeste Mehrwerte zu erzielen, verdeutlicht Christian Kleinschroth, Chief Technology Officer, Simplifier AG, und fordert: "Die Verankerung einer Citizen-Development-Strategie innerhalb der IT-Governance ist deshalb essenziell, um mit Citizen Development in Verbindung mit Low-Code langfristig erfolgreich zu sein. Genau das ist die entscheidende Hürde, die es zu überwinden gilt." In die gleiche Kerbe schlägt Bodo Giegel. Für ihn steht fest, dass "für ein erfolgreiches Citizen Development neben der Technologieplattform auch die Governance und die Schulung der Mitarbeiter von sehr hoher Bedeutung sind. Ein besonderes Augenmerk sollte hierbei auf die Vorgehensweisen zur Anwendung von No-Code-/Low-Code-Applikationen gelegt werden."

Die Studie zeigt: Bei dem Reifegrad des Citizen Development gibt es großen Nachholbedarf.
Die Studie zeigt: Bei dem Reifegrad des Citizen Development gibt es großen Nachholbedarf.
Foto: Research Services: Christine Plote

Angst vor "neuer" Schatten-IT

Die Studie bietet darüber hinaus eine Reihe weiterer interessanter Erkenntnisse. Zum Beispiel die, dass drei Viertel der Befragten, bei denen Citizen Developer aus den Fachbereichen mit einer No-Code-/Low-Code-Plattform arbeiten, ihnen "grundsätzlich" oder "in der Regel" auch die Rolle des Product Owner übertragen. In 39 Prozent der befragten Unternehmen bestehen Teams, die an einem No-Code-/Low-Code-Projekt arbeiten, grundsätzlich aus einem Mix aus professionellen Entwicklern und Citizen Developern. 63 Prozent arbeiten nur in einzelnen Fällen mit gemischten Teams, neun Prozent nie.

Die Demokratisierung der Softwareentwicklung, etwa durch Citizen Development, wird aber nicht nur positiv gesehen. 59 Prozent der Unternehmen befürchten, dass dadurch eine "neue" Schatten-IT entstehen könnte. Last but not least machen zahlreiche Unternehmen die Entscheidung für eine No-Code-/Low-Code-Plattform davon abhängig, dass sie die Hoheit über eigene Algorithmen und eigene Daten behalten, die Herstellerbindung minimal bleibt und kein nutzungsbasiertes Kostenmodell erforderlich ist.

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Jetzt im Shop: die Studie "No-Code / Low-Code 2022"
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Foto: INAMEL - shutterstock.com / Research Services: Christine Plote

Studiensteckbrief

Herausgeber: CIO, CSO und COMPUTERWOCHE

Platin-Partner: Neptune Software GmbH; Nintex Deutschland GmbH; Project Management Institute GmbH; Service-now.com GmbH; WEBCON Sp. z o. o.; Workato GmbH

Gold-Partner: ESCRIBA AG; SPIRIT/21 GmbH; HCL Technologies Germany GmbH

Silber-Partner: PKS Software GmbH; Simplifier AG

Grundgesamtheit: Oberste (IT-)Verantwortliche von Unternehmen in der D-A-CH-Region: strategische (IT-)Entscheider im C-Level-Bereich und in den Fachbereichen (LoBs), IT-Entscheider und IT-Spezialisten aus dem IT-Bereich

Teilnehmergenerierung: Persönliche E-Mail-Einladung über die Entscheiderdatenbank Entscheiderdatenbank von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE sowie - zur Erfüllung von Quotenvorgaben - über externe Online-Access-Panels

Gesamtstichprobe: 605 abgeschlossene und qualifizierte Interviews

Untersuchungszeitraum: 23. Februar bis 2. März 2022

Methode: Online-Umfrage (CAWI) Fragebogenentwicklung & Durchführung: Custom Research Team von CIO, CSO und Computerwoche in Abstimmung mit den Studienpartnern