Den Erfindergeist wecken

Innovation braucht Freiräume und Mut

21.02.2019
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Effizient und gleichzeitig innovativ zu sein stellt Unternehmen vor Herausforderungen. Wir haben mit Beratern aus zwei Unternehmen darüber gesprochen, wie der Balanceakt zwischen unternehmerischer Pflicht und Kür gelingen kann.
  • Über die Hälfte aller Unternehmen wollen ihr Kerngeschäft ausbauen und keine neuen Geschäftsfelder angehen.
  • Innovationsfähigkeit setzt nicht nur Offenheit und Neugier voraus, sondern auch ausreichend Zeit.
  • Freiräume zum Ausprobieren sind eine wichtige Rahmenbedingung, damit Innovation gelingen kann.

Organisationale Ambidextrie ist ein Management-Thema, das seit einigen Jahren verstärkt diskutiert wird. Wörtlich übersetzt geht es um Beidhändigkeit: Wie versetzen sich Unternehmen organisatorisch in die Lage, einerseits effizient und zielgerichtet zu wirtschaften, andererseits aber genügend Freiräume für Innovation beziehungsweise das Erkunden von Neuem zu haben?

In Berlin und Ludwigsburg hat das Beratungshaus MHP Labs eröffnet, um den Mitarbeitern genügend Raum und Zeit zum Experimentieren, Ausprobieren und Netzwerken zu geben.
In Berlin und Ludwigsburg hat das Beratungshaus MHP Labs eröffnet, um den Mitarbeitern genügend Raum und Zeit zum Experimentieren, Ausprobieren und Netzwerken zu geben.
Foto: MHP

Die wenigsten Betriebe haben dafür ein Patentrezept gefunden, wie eine Studie zeigt, die vom Personalvermittler Hays und den Marktforschern von PAC erarbeitet wurde. Demnach ist es für mehr als jedes zweite Unternehmen wichtiger, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren und dieses auszubauen, als neue Geschäftsfelder anzugehen. Nur 17 Prozent der befragten Firmen fördern die Selbstorganisation von Teams, zwei Drittel setzen lieber bei ihren bestehenden Abläufen an.

Raus aus dem Tagesgeschäft

Für Beratungshäuser wie MHP gehört die Innovation zum Kerngeschäft: Die Kunden erwarten, dass sie neue Konzepte entwickeln und umsetzen. Christoph Joos, Partner bei MHP, ist sich bewusst, dass auch Consultants geeignete Rahmenbedingungen schaffen müssen. "Die größte Herausforderung ist es, die Mitarbeiter aus dem Tagesgeschäft herauszuholen, da Innovationsfähigkeit nicht nur Offenheit und Neugier, sondern auch ausreichend Zeit voraussetzt. Hier gibt es zwei Wege: Entweder man räumt Mitarbeitern einen gewissen Prozentsatz ihrer Arbeitszeit als Frei- und Experimentierraum ein. Oder man versucht, Innovation permanent in das Tagesgeschäft zu integrieren." Joos fasst den Begriff der Innovation weit: "Sie muss nicht immer im Sinne von Invention verstanden werden. Nicht jeder muss zum Erfinder werden. Jeder sollte aber offen sein, sich mit neuen Themen auseinanderzusetzen. Als Unternehmen stellen wir darum den Mitarbeitern den Zugang zu entsprechenden Lern- und Wissensplattformen und -kanälen zur Verfügung. Gleichzeitig sollten sich auch die Einstellungen der Mitarbeiter ändern: Wissen und Know-how dürfen keine Macht sein, die ein Experte hortet, sondern alle sollen ihr Wissen teilen und an Kollegen und weitere Anspruchsgruppen weitergeben."

Christoph Joos, MHP: "Die größte Herausforderung ist es, die Mitarbeiter aus dem Tagesgeschäft herauszuholen, da Innovationsfähigkeit nicht nur Offenheit und Neugierde, sondern vor allem auch Zeit voraussetzt."
Christoph Joos, MHP: "Die größte Herausforderung ist es, die Mitarbeiter aus dem Tagesgeschäft herauszuholen, da Innovationsfähigkeit nicht nur Offenheit und Neugierde, sondern vor allem auch Zeit voraussetzt."
Foto: Christoph Joos - MHP

Lernen und das Teilen von Wissen gelingen bei MHP dann gut, wenn sich die Mitarbeiter nicht in ihrer gewohnten Arbeitsumgebung befinden, sondern in den Labs. Diese sind sehr großzügig definiert: In das Lab in Ludwigsburg können Mitarbeiter auch mit dem Auto hineinfahren, um ein bisschen herumzuschrauben. Auch Kunden können ein Lab nutzen und dort mit Startups zusammen tüfteln und ausprobieren. Neben solchen äußeren Rahmenbedingungen ist laut Joos auch die Rückendeckung aus dem Management für das Innovationsthema entscheidend: "Innovations- und Fehlerkultur gehören zusammen. Das Management muss hier die Veränderungsbereitschaft vorleben und eine solche Kultur prägen." Schließlich dürfen auch Anreize für Verbesserungen nicht fehlen, so der MHP-Manager weiter: "Wir setzen den Mitarbeitern auch finanzielle Anreize, damit sie sich mit Innovationen beschäftigen. Für uns als Beratungsunternehmen sind Innovationen Kerngeschäft. Der Kunde erwartet sie und kauft sie bei uns ein."

Innovation via Plattform

Die Consultants von NTT Data sehen ihre DevOps-Entwicklungsplattform "Altemista" als Dreh- und Angelpunkt für Innovation. Heute gehört sie zum Tagesgeschäft, aber der Weg dahin war lang, wie Christian Arnheiter einräumt: "Bis sich das neue Produkt durchsetzen konnte, musste die Technologie erst reifen. Vor sieben Jahren, als ich mich zum ersten Mal damit beschäftigte, war sie noch nicht so weit."

Christian Arnheiter, NTT Data: "Bis sich das neue Produkt durchsetzen konnte, musste die Technologie erst reifen. Vor sieben Jahren, als ich mich zum ersten Mal damit beschäftigte, war sie noch nicht so weit."
Christian Arnheiter, NTT Data: "Bis sich das neue Produkt durchsetzen konnte, musste die Technologie erst reifen. Vor sieben Jahren, als ich mich zum ersten Mal damit beschäftigte, war sie noch nicht so weit."
Foto: Arnheiter - NTT Data

So gab es zwar zu Fragen wie Hardwarevirtualisierung oder Continuous Build & Deployment gute Einzellösungen für einfachere Anwendungen, aber keine integrierte Gesamtlösung für den Betrieb größerer IT-Anwendungen in komplexen IT-Organisationen und Infrastrukturen. Auch kritische IT-Security-Fragen waren unbeantwortet. Grund dafür ist laut Arnheiter, dass Innovation oft aus der Open-Source-Community heraus entstehe und sich die Veröffentlichungen zu Beginn nur auf das technisch Machbare fokussieren, nicht auf konkrete Kundenbedürfnisse.

Prototypen bei Pizza und Cola bauen

Bei NTT beschäftigte sich Arnheiter mit einigen Kollegen erst nur abends mit der Technologie. Sie entwickelten kleinere Prototypen, bis sie das Projekt im Jahr 2015 Ralf Malter, einem der Geschäftsführer von NTT Data, vorstellten. Zwei Jahre später war Altemista schon so weit entwickelt, dass es auf einer Kickoff-Veranstaltung allen Mitarbeitern präsentiert werden konnte. Für Malter ist dieser Reifeprozess nichts Ungewöhnliches: "Die japanische Kultur unseres Mutterkonzerns passt gut zum Innovationsthema. Statt kurzfristigem Denken hat man einen langen Atem und gibt Innovationen Zeit. Das kann aber auch bedeuten, dass aus einer Idee am Ende kein Produkt wird."

Im Falle von Altemista ist aus der ursprünglichen Idee viel mehr geworden, sagt Arnheiter: "Heute ist es nicht nur ein Plattformservice, über den Kunden agil Dienste entwickeln und den sie monatlich anmieten können, sondern auch ein Beratungskonzept: Wir beraten Firmen, wie sie Softwareentwicklung und Betrieb im Sinne des DevOps-Ansatzes verheiraten können, und bieten dann die Technologien an, um auf der Plattform die digitalen Dienste umzusetzen."

Ralf Malter, NTT Data: "Die japanische Kultur unseres Mutterkonzerns passt gut zum Innovationsthema. Statt kurzfristigem Denken hat man den langen Atem und gibt Innovation auch Zeit."
Ralf Malter, NTT Data: "Die japanische Kultur unseres Mutterkonzerns passt gut zum Innovationsthema. Statt kurzfristigem Denken hat man den langen Atem und gibt Innovation auch Zeit."
Foto: NTT Data

Für NTT-Data-Manager Malter sind Freiräume, die gezieltes Ausprobieren erlauben, eine wichtige Rahmenbedingung, damit Innovation gelingen kann: "Das schafft Sicherheit. Networking und der Austausch von Ideen bei Hackathons und Tech Talks sind ebenso wichtig für uns." Der Ideenaustausch sei fruchtbarer, wenn er nicht an den Unternehmensgrenzen ende, so Malter weiter: "Wir laden unsere Kunden auch ein, um mit uns über innovative Themen zu diskutieren und Dinge auszuprobieren. Damit beziehen wir sie schon sehr früh in den Innovationsprozess ein. In diesen Design-Workshops geht es uns nicht darum, wie viele Lines of Code wir geschrieben haben. Entscheidender ist , was der Kunde damit anfangen kann."