Deutsche Telekom AG

Global Player im zweiten Anlauf

24.09.2004
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Gerhard Holzwart begann 1990 als Redakteur der COMPUTERWOCHE und leitete dort ab 1996 das Ressort Unternehmen & Märkte.  Ab 2005 verantwortete er den Bereich Kongresse und Fachveranstaltungen der IDG Business Media GmbH und baute „IDG Events“ mit jährlich rund 80 Konferenzen zu einem der führenden Anbieter von ITK-Fachveranstaltungen in Deutschland aus. Seit 2010 ist Gerhard Holzwart geschäftsführender Gesellschafter der h&g Editors GmbH und ist in dieser Funktion als Event Producer, Direktmarketingspezialist und ITK-Fachredakteur tätig.        

Für die Deutsche Telekom war der Weg vom monopolistischen Staatsunternehmen zum international aufgestellten Carrier lang. Zunächst mussten die Öffnung des deutschen TK-Marktes verkraftet und mehrere Börsengänge bewältigt werden.

Der eigentliche strategische Umbau beginnt erst jetzt. Den meisten journalistischen Berichterstattern war es bei der Vorlage der aktuellen Halbjahresbilanz der Deutschen Telekom Mitte August nur eine Randnotiz wert: Die Auslandsquote beim Umsatz von 14,4 Milliarden Euro lag im zweiten Quartal bei rund 40 Prozent. Nur der schwache Dollar hatte verhindert, dass der Anteil des Auslandsgeschäfts noch stärker ausfiel. Während hierzulande die Einnahmen des Bonner Carriers in der jüngsten Berichtsperiode um 0,6 Prozent zurückgingen, kletterten die Umsätze außerhalb Deutschlands um 17,5 Prozent. Neben den zunehmenden Aktivitäten in Osteuropa trug dazu vor allem T-Mobile USA bei. Die Umsätze und das Wachstum bei Neukunden waren bei der US-amerikanischen Mobilfunktochter erstmals höher als die vergleichbaren Kennziffern von T-Mobile in Deutschland.

Auf den ersten Blick könnte man deshalb zu der Ansicht gelangen, dass die "Saat" des ehemaligen Telekom-Chefs Ron Sommers doch aufgegangen ist. Schließlich machte der Auslandsumsatz des Konzerns vor genau vier Jahren noch magere acht Prozent der Gesamteinnahmen aus - einer von mehreren Gründen, weswegen der Vorgänger des heutigen Konzernchefs Kai-Uwe Ricke aus dem trägen Ex-Monopolisten einen weltumspannenden Dienstleistungskonzern in den so genannten TIMES-Märkten (Telekommunikation, IT-Services, Multimedia, Entertainment und Security) formen wollte. Sommer hatte deshalb unter anderem Anfang 2001 den US-amerikanischen Mobilfunkanbieter Voicestream für knapp 28 Milliarden Dollar gekauft.

Unter Ron Sommer träumte man von Zukunftsinvestitionen - heute ist vom Schuldendienst die Rede.

Heute ist man in Bonn um einige Erfahrungen reicher. Hieß es während der Ron-Sommer-Ära noch, es sei "die Zeit für Zukunftsinvestitionen", ist heute nicht mehr viel von Multimedia und Entertainment, dafür aber um so mehr vom Schuldendienst die Rede. Mehr als 60 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten fand Ricke bei seinem Amtsantritt vor knapp zwei Jahren vor - eine finanzielle Belastung, die jüngsten Planungen zufolge bis Ende 2004 auf weniger als 40 Milliarden Euro reduziert werden soll.

Fairerweise muss man heute jedoch betonen, dass nicht alles an der Strategie Sommers falsch war. Rückblickend betrachtet ist es müßig, die bei weitem zu teure Voicestream-Übernahme zu kommentieren. Der Markt gab, wie es seinerzeit hieß, solche "Mondpreise" her; die Finanzmärkte brauchten und bekamen ihre Story. Schließlich mussten sowohl die T-Aktie in insgesamt drei Tranchen als auch der Internet-Ableger T-Online (ebenfalls weit überteuert) an die Börse gebracht werden. Und ein Großteil der Schulden, die Sommer angehäuft hat, resultieren aus dem Erwerb der UMTS-Lizenzen für Deutschland - eine Vorleistung, ohne die der TK-Riese heute trotz aller Debatten über den immer noch ausstehenden kommerziellen Durchbruch des Mobilfunks der dritten Generation strategisch schlecht positioniert wäre.

Ricke baut auf ...

Telekom-Chef Ricke hat deshalb auf der jüngsten Halbjahrespressekonferenz nicht umsonst darauf hingewiesen, dass sein Kurs bei der Weiterentwicklung des Unternehmens "evolutionär, nicht revolutionär" sei. Mit anderen Worten: Ricke kann auf etwas aufbauen. Ihm, der von vielen Kritikern zunächst als fantasieloser Kostenkiller und Sanierer abgestempelt wurde, schwebt allerdings ein integrierter TK-Konzern anderer Prägung vor. Keine Ausflüge ins Medien- und Softwaregeschäft mehr, keine spektakulären Übernahmen und Fusionen, dafür aber die Stärkung der Kernkompetenzen im Festnetz und Mobilfunk sowie bei IT-Dienstleistungen. Der lange Zeit als "Local Hero" verspottete Bonner Carrier hat dabei von den Weltmarktambitionen nach der Fasson Ron Sommers längst Abschied genommen. Die wichtigste Bastion heißt jetzt

Europa, vor allem Zentral- und Osteuropa - natürlich gepaart mit einer immer stärkeren Rolle im US-Geschäft. Eine Strategie übrigens, die deckungsgleich mit der von anderen großen internationalen Wettbewerbern ist, die sich in den letzten Jahren ebenfalls zunächst weitgehend auf ihre jeweiligen Kontinentalmärkte zurückgezogen und im Ausland - wenn überhaupt - nur das Geschäft mit Dienstleistungen für große Unternehmenskunden forciert hatten. Vieles spricht deshalb dafür, dass nach der Konsolidierungsphase der vergangenen beiden Jahre jetzt erst die entscheidenden Weichen für die Zukunft der Deutschen Telekom gestellt werden. Ricke hat diese Herausforderungen in "seiner" Agenda 2004 zusammengefasst. Vordergründig geht es dem Konzernchef dabei um die Abkehr von der Produkt- und Technikausrichtung früherer Tage hin zu einer deutlicheren Serviceorientierung sowie um die Neugliederung des Unternehmens in die drei zentralen Business

Units Breitband/Festnetz, Mobilkommunikaton und Geschäftskunden. Ein entsprechender Firmenumbau war deshalb schon länger in Planung.

Ricke krempelt die Telekom um

Jetzt hat Ricke die Umstrukturierung begonnen: Walter Raizner, Chef der IBM Deutschland GmbH, wird künftig die Festnetzsparte der Telekom führen. Vor ihm liegt eine schwere Aufgabe: Er muss den Umsatzschwund stoppen und die T-Online-Dienste integrieren. Der Telekom-Chef hat mit der Verpflichtung von Raizner einen Überraschungscoup gelandet. Nach dem Rücktritt von Josef Brauner, der im April über das Maut-Debakel gestolpert war, wurden viele Namen gehandelt, doch der IBM-Mann war nicht darunter. Raizner fällt bei der Neuordnung der Telekom eine Schlüsselrolle zu: Er muss ab 1. November als Chef der T-Com das neue Geschäftsfeld "Breitband/Festnetz" verantworten und für eine einheitliche Vermarktungs- und Vertriebsstrategie der sich teilweise überlappenden T-Com- und T-Online-Produkte sorgen. Mit der Zusammenlegung der beiden Bereiche will Ricke dem Konkurrenzkampf zwischen den beiden Konzernlagern um den breitbandigen Internet-Zugang DSL ab Januar 2005 einen

Riegel vorschieben. Auch die europäischen Wettbewerber France Télécom und Telefônica hatten ihre Sparten Festnetz und Online-Dienst zusammengelegt.

Das belastete Verhältnis zwischen T-Com und T-Online dürfte auch der Hauptgrund dafür gewesen sein, weshalb T-Online-Vorstand Thomas Holtrop keine Chance auf den T-Com-Chefsessel hatte. Holtrop blieb nichts anderes übrig, als zu gehen, denn die Entscheidung für Raizner kam einer Degradierung gleich. Der T-Online-Chef, der noch von Ricke-Vorgänger Ron Sommer angeheuert worden war, hätte seinen Vorstandsposten räumen und künftig an Raizner berichten müssen. Darüber hinaus gibt es ein ganzes Bündel an weiteren Problemen, die noch auf eine Lösung warten. So müssen die Bonner dringender denn je ihre Strategie gegenüber dem derzeit einzigen wahren Global Player, dem britischen Vodafone-Konzern, überdenken. Dessen Marktdominanz und Wachstumstempo im Mobilfunk wird für das deutsche Vorzeigeunternehmen immer bedrohlicher. Dies gilt besonders für Deutschland, wo die führende Position von "D1"-Anbieter T-Mobile immer mehr ins

Wanken gerät.

Deutschland: Thema für sich

Der deutsche Markt ist ohnehin ein Thema für sich, denn trotz der Tatsache, dass sich hierzulande nach der Anfangseuphorie um die Marktöffnung Ende der 90er Jahre im Festnetzgeschäft kein weiterer großer Wettbewerber etablieren konnte, verliert der frühere Monopolist dort kontinuierlich Marktanteile. Völlig anders, dafür aber nicht weniger brisant ist die Lage bei der Dienstleistungstochter T-Systems. Zwar ist dort die mühsame Integration des vor Jahren übernommenen Debis Systemhauses inzwischen abgeschlossen, doch im Konzert der weltweit großen Anbieter von IT-Services kann der Telekom-Ableger mangels Masse respektive globaler Präsenz nach wie vor kaum mitspielen.

Vor allem aber muss Konzernchef Ricke wieder investieren. Das Geld hat er zwar, aber die nötige Zeit womöglich nicht. Und unter Umständen auch nicht die richtigen Präferenzen. So ist es das erklärte Ziel des Telekom-Managements, weitere Gelder primär für den Ausbau der Präsenz in den Mobilfunkmärkten der USA und Osteuropas in die Hand zu nehmen.

Aus den Augen verloren

Experten weisen jedoch auf die Gefahr hin, dass die Bonner dabei das eigene Festnetz aus den Augen verlieren könnten. Nach der Einführung von UMTS finde der nächste Technologiesprung in den Festnetzen statt, heißt es. Breitbandige Dienste wie Musik-Downloads, digitales Fernsehen und Voice over IP dürften den Bedarf nach Bandbreite enorm steigern. Dabei gehe es jedoch nicht nur darum, dass beispielsweise Kunden als quasi Add-on-Service kostenlos über das Internet telefonieren können, sondern um die grundsätzliche Möglichkeit, solche Dienste mit einer zeitgemäßen Netzinfrastruktur so kostengünstig wie möglich zu produzieren. Nicht umsonst hätten, so Branchenkenner, Wettbewerber wie BT angekündigt, binnen der nächsten Jahre zweistellige Milliardenbeträge in ihr Festnetz zu pumpen.

* Der Autor Gerhard Holzwart ist Redakteur bei der Computerwoche. [gholzwart@computerwoche.de]