Der Markt der Netzausrüster

Eine Branche aus dem Gleichgewicht

24.09.2004
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Gerhard Holzwart begann 1990 als Redakteur der COMPUTERWOCHE und leitete dort ab 1996 das Ressort Unternehmen & Märkte.  Ab 2005 verantwortete er den Bereich Kongresse und Fachveranstaltungen der IDG Business Media GmbH und baute „IDG Events“ mit jährlich rund 80 Konferenzen zu einem der führenden Anbieter von ITK-Fachveranstaltungen in Deutschland aus. Seit 2010 ist Gerhard Holzwart geschäftsführender Gesellschafter der h&g Editors GmbH und ist in dieser Funktion als Event Producer, Direktmarketingspezialist und ITK-Fachredakteur tätig.        

Die Netzausrüster wurden in den vergangenen Jahren wie kaum ein anderes Marktsegment der IT-Branche von der Krise gebeutelt. Und immer noch ist das Geschäft höchst volatil.

Der dramatische Markteinbruch zog Massenentlassungen und tief greifende Restrukturierungen nach sich. Jetzt gibt es ernst zu nehmende Signale der Besserung. Doch die Zeichen des vermeintlichen Aufschwungs sind so diffus und vielschichtig wie der Markt an sich. Weitgehend stabil zeigte sich bisher nur ein Anbieter: Marktführer Cisco Systems.

Lässt man die Entwicklung der vergangenen vier Jahre im weltweiten Netzausrüstergeschäft Revue passieren, kommt man zwangsläufig zu der Feststellung: Die Umsätze fast aller Anbieter haben sich in der Regel halbiert, die Zahl der Mitarbeiter auch. In Einzelfällen war es sogar noch schlimmer. Besonders hart traf es die US-amerikanischen Hersteller Lucent Technologies und Nortel Networks, die heute nur noch rund ein Drittel ihrer früheren Mannschaft beschäftigen. Doch auch die eher national aufgestellten Champions wie Alcatel (Frankreich) und Siemens (Deutschland) mussten der bis dato beispiellosen Krise Tribut zollen. Selbst Branchenprimus Cisco Systems, der vergleichsweise bequem die stürmischen Zeiten überstand, kam nicht um "Personalmaßnahmen" herum und schrieb im Jahr 2001 - bisher einmalig in der Firmengeschichte - rote Zahlen.

Alle Anbieter von Netzequipment hatten es mit einer höchst komplizierten Gemengelage zu tun: Das Platzen der Internet-Blase und die damit verbundene Pleite Hunderter von Web-Companies und kleinerer Service-Provider, die allgemeine Nachfrageschwäche im IT-Sektor, die exorbitante Verschuldung vieler großer Telefongesellschaften im Zusammenhang mit dem sich bisher als unsicher erweisenden Hoffnungsträger UMTS. Dessen Fragwürdigkeit war eine Erkenntnis, die - nachdem sie reichlich spät gekommen war- dazu führte, dass die Carrier ihre Investitionen für neues Netzequipment auf längere Sicht einfroren und sich ganz dem Schuldenabbau widmeten. Entscheidend ist: Viele dieser den Markt prägenden Widrigkeiten sind bis heute nur vordergründig überstanden; das Geschäft ist und bleibt unvorhersehbar.

Unübersichtliche Anbieterszene

Was darüber hinaus eine Betrachtung der Netzausrüsterszene so schwierig macht, ist deren komplexe Struktur, denn die Grenzen zwischen dem Geschäft mit Firmenkunden und dem für Service-Provider waren und sind zum Teil fließend - nicht nur, was beispielsweise die Technologie einzelner Hochleistungs-Router und -Switches angeht, sondern vor allem, was das Produktportfolio der meisten Hersteller betrifft. Große Player wie Siemens und Cisco sind gleichermaßen in der Sprach- und Datenwelt zu Hause, andere prominente Namen wie Lucent haben sich weitgehend auf die Ausstattung von Carriern spezialisiert. Die beiden skandinavischen Anbieter Ericsson und Nokia sowie der US-amerikanische Konzern Motorola wiederum sind seit jeher bemüht, neben ihrem Handy-Geschäft auch im Bereich Infrastruktur für Mobilfunkbetreiber ein

großes Rad zu drehen. Dort dominiert Nokia in Europa das Geschehen, Motorola in den Vereinigten Staaten. Dass jetzt aber die Sprach- und Datenwelt technologisch immer mehr zusammenwachsen (Stichwort: Voice over IP), dass es zudem immer häufiger Kombinationen zwischen Festnetz- und Mobilfunkanwendungen (Stichwort: WLAN) gibt, macht einen Überblick noch komplizierter.

Grundsätzlich gilt Cisco unter den Netzequipment-Lieferanten als unumschränkter Marktführer - weltweit, wie auch in Deutschland. Dies ist spätestens so, seit die Zeiten früherer Monopolisten wie France Telecom und Deutscher Telekom (seinerzeit Deutsche Bundespost) passé sind. Damit haben vormalige Haus-und-Hof-Lieferanten wie Alcatel und Siemens an Bedeutung verloren. Dennoch ist es bemerkenswert, dass die Kalifornier Siemens heute auch im deutschen Heimatmarkt auf die Plätze verweisen. Der Vergleich Cisco versus Siemens symbolisiert ohnehin wie kein anderer die technologische Entwicklung und damit das Marktgeschehen. Während die Münchner quasi jahrzehntelang die Welt der Sprachtelefonie in Carrier- und Unternehmensnetzen mit ihren EWSD- beziehungsweise Hicom-Systemen beherrsch(t)en, begann Cisco mit seinen IP-Routern erst Anfang/Mitte der 90er Jahre seinen eigentlichen Siegeszug bei der datengetriebenen Vernetzung von Unternehmen. Heute machen sich beide Firmen sowohl im Carrier-Geschäft als auch in der standortübergreifenden Vernetzung von Firmen sowie im Wachstumsmarkt Voice over IP Konkurrenz.

Ciscos insgesamt dominierende Stellung ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Aufgrund der geschilderten Historie beherrschen die Kalifornier den weltweiten Router-Markt (Carrier- und Enterprise-Segment) seit Jahren mit einem Marktanteil von mehr als 60 Prozent. Dort aber werden die Margen und vor allem die Wachstumsaussichten in Teilbereichen immer geringer. Die US-amerikanische Marktforschungsgesellschaft Dell Òro Group hat dies erst kürzlich in einer vergleichsweise pessimistischen Prognose bestätigt. Demnach dürfte der Markt für Enterprise-Router bis 2008 pro Jahr durchschnittlich nur um vier Prozent zulegen. Cisco hat darauf längst reagiert und sich neben der Diversifizierung in andere Geschäftsfelder (Speicher, Security) als weltweit einziger Komplettanbieter für Unternehmensnetze positioniert.

Das Problem des Marktführers

Die Bandbreite der Company reicht dort heute von LAN-Switches über WAN-Router und VPN-Gateways bis hin zu Voice-over-IP-Lösungen. Das ist so mit keinem anderen Wettbewerber vergleichbar. Die Marktmacht des Internetworking-Giganten wird dabei noch durch Vertriebskooperationen mit IBM, Hewlett-Packard (HP) und - pikanterweise - auch Siemens gestärkt. Doch das alleine reicht nicht, um Ciscos Wachstumsmotor am Laufen zu halten. Die Kalifornier haben in den letzten Jahren das deutlich margenträchtigere Segment der Highend-Router und großen WAN-Switches vernachlässigt - ein Geschäft, das vorwiegend mit Carriern und Internet-Service-Providern gemacht wird, die entsprechende hohe Bandbreiten benötigen. Erst vor kurzem hat Cisco mit der Markteinführung seines neuen "CRS-1"-Routers samt neuem, modular aufgebautem Betriebssystem hier

wieder nachhaltig Flagge gezeigt.

Das Problem des Marktführers könnte indes sein, dass er nach wie vor knapp 80 Prozent seines Umsatzes im Enterprise-Sektor erwirtschaftet - und dass ihm im Carrier-Geschäft, das jetzt nach Jahren der Tristesse wieder Zeichen einer Erholung erkennen lässt, andere Wettbewerber, etwa Anbieter wie Nortel und Lucent oder die US-Company Juniper Networks, im Nacken sitzen. Der Abstand zu Cisco liegt hier bei einzelnen Produktkategorien teilweise nur im einstelligen Prozentbereich.

Vor allem bei Core-Routern und -Switches, die in konvergenten Netzen als Plattform zum Transport von Daten, Bildern und IP-Telefonie zum Einsatz kommen, erwarten Experten in den kommenden Jahren einen Boom. Die Carrier und Service-Provider investieren wieder, heißt es. Die Dell Òro Group rechnet hier bis 2008 mit durchnittlichen jährlichen Wachstumsraten von 13 Prozent; Gartner prognostiziert in einzelnen Teilsegmenten wie dem Access-Bereich (hier vor allem der Schaltung von DSL-Zugängen für private Internet-Nutzer) Zuwächse von teilweise 30 bis 40 Prozent. Gartner-Analystin Bettina Tratz-Ryan geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass vor allem in Europa das Telco-Ausrüstergeschäft "wieder deutlich anziehen wird".

Trotzdem (oder gerade deshalb) hat sich Cisco-Chef John Chambers unlängst pessimistisch zu den weiteren Marktaussichten geäußert, während umgekehrt Anbieter wie Alcatel, Siemens und Lucent eher optimistische Prognosen abgaben. Tratz-Ryan spricht daher von einer volatilen Marktentwicklung im Netzausrüstergeschäft, die mit den sich abzeichnenden neuen technologischen Trends und den "weltweit immer noch sehr unterschiedlich regulierten TK-Märkten" zu tun habe.

Die Kalifornier müssen sich auch in ihrer bisherigen Domäne des Enterprise-Geschäfts zunehmend gegen Konkurrenz von Anbietern wie Juniper Networks, mittelfristig womöglich sogar auch vom chinesischen Shooting-Star Huawei wehren. Im Zukunftsmarkt Voice over IP wiederum haben sich Anbieter wie Nortel, das Lucent-Spinoff Avaya und Alcatel stärker behauptet als von Cisco einkalkuliert, und bei WLANs wird man sich an Herstellernamen wie Lancom, Netgear und (auch wieder) 3Com gewöhnen müssen.

* Der Autor Gerhard Holzwart ist Redakteur bei der Computerwoche. [gholzwart@computerwoche.de]