Flightright vs. Corona

Der Ansturm nach dem Lockdown

24.06.2020
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Die Corona-Pandemie kann den beruflichen Alltag von IT-Experten auch über das Homeoffice hinaus auf den Kopf stellen. Ein Beispiel ist das Fluggastportal Flightright, das sich einer Flut von Kundenanfragen gegenüber sah.

Seit mit dem Lockdown der Flugverkehr fast zum Erliegen gekommen ist, sieht sich Flightright, das die Rechte von Flug­gästen vertritt, einem Ansturm an neuartigen Anfragen ausgesetzt. Ging es früher etwa darum, ob man für verspätete Flüge eine Kompensation bekommen kann, wollten nun fast alle User wissen, ob und wie Tickets rückerstattet werden können.

Flightright vertritt die Rechte von Fluggästen. Mit der Corona-Krise sah sich das Legal-Tech-Unternehmen einem Ansturm neuartiger Anfragen ausgesetzt.
Flightright vertritt die Rechte von Fluggästen. Mit der Corona-Krise sah sich das Legal-Tech-Unternehmen einem Ansturm neuartiger Anfragen ausgesetzt.
Foto: Ranta Images - shutterstock.com

Oskar de Felice, Rechtsexperte bei Flightright, beschreibt die Auswirkungen auf den Arbeits­alltag: "Vor Corona haben wir Minimum Viable Products (MVPs) oft in internen Tests ausprobiert, bevor wir damit an die Öffentlichkeit gegangen sind. Ein sanfter Lernzyklus. Jetzt bekommen wir so viel Input von den Kunden, dass unsere Produktentwicklung und der Kundensupport vom Feedback fast überfordert sind. Wir stehen wie vor einem Feuerwehrschlauch, aus dem das Wasser mit voller Kraft herausspritzt. Da wir nach jedem Test nicht mehr zwei, sondern zehn Erkenntnisse herausbekommen, müssen wir noch stärker priorisieren. Was machen wir zuerst? Was lassen wir ganz bleiben?"

Verteiltes Entwickeln bei Flightright

Es galt, das Produktportfolio so zu erweitern, dass der User in einem Claim-Check erfragen kann, wie realistisch die Chancen sind, den Ticketpreis erstattet zu bekommen. Dieses Frage- und Antwort-Spiel, das auf der Website das Erstgespräch zwischen Anwalt und potenziellem Mandanten digital simuliert, galt es zu entwickeln.

Oskar de Felice, Rechtsexperte bei Flightright.
Oskar de Felice, Rechtsexperte bei Flightright.
Foto: Flightright GmbH

Das Ergebnis: Der User gelangt nun in fünf Schritten zur Ticketrückerstattung:

  1. Wie wurde der Flug storniert?

  2. Wie lautete die bisherige Reaktion der Airline?

  3. Welche Flüge waren betroffenen?

  4. Hochladen relevanter Unterlagen (Buchungsbestätigung)

  5. Online Unterschrift und Flightright beauftragen

Dazu de Felice: "Die größte Herausforderung ist die Balance zwischen Geschwindigkeit und dem Bedürfnis nach Kontinuität. Da die Anfragen der Kunden in so hoher Zahl kommen, zählte jetzt, dass wir eine schnelle Lösung bauen, die auch anpassungsfähig ist. Dafür macht man Abstriche, aber man muss sich fragen: Wie viel technologische Schulden bin ich für die Geschwindigkeit bereit zu zahlen?"

Da die Softwareentwickler von Flightright in Berlin, Kiew und Budapest sitzen, waren sie daran gewöhnt, verteilt und agil zu arbeiten. Umstellen mussten sich vor allem die Führungskräfte, die Stand der IT-Entwicklung und der einzelnen Teams immer auf einer großen Wand mit Tickets und Klebezettel visualisiert bekamen. Dieser Raum in der Berliner Zentrale ist seit Mitte März verwaist, da alle Mitarbeiter von zuhause aus agieren. Die Wand ist virtuell nachgebaut, und die Sprintzyklen sind von zwei auf eine Woche verkürzt, um noch mehr Struktur und Disziplin reinzubringen.

Die agile Schaltzentrale von Flightright in Berlin ist noch verwaist, nun ist sie virtuell abgebildet.
Die agile Schaltzentrale von Flightright in Berlin ist noch verwaist, nun ist sie virtuell abgebildet.
Foto: Flightright GmbH

"Schön coden muss zurückstehen"

Die wichtigste Neuerung ist in den Augen von Oskar de Felice aber, dass alle schon von Anfang an in den Entwicklungsprozess eingebunden werden: "Da die Sprint-Planung und die Abstimmung mit den Stakeholdern aus den verschiedenen Fachabteilungen nicht mehr getrennt, sondern integriert sind, muss jeder ­seine Komfortzone verlassen. Die Entwickler müssen sich öffnen, und die Stakeholder auf die Technologien einlassen. Das hat den Vorteil, dass alle Abteilungen noch näher zusammenrücken."

De Felice hat auch beobachtet, dass diese unruhigen Zeiten andere Fähigkeiten erfordern: "Es braucht Leute, die anpacken und sich fragen, was kann ich heute tun, um das Produkt beziehungsweise das Unternehmen zu verbessern." Natürlich seien nicht alle im Hier und Jetzt so verhaftet. Menschen seien unterschiedlich gepolt. "Es gibt auch Entwickler, die schön coden wollen, langfristig und auf Strukturen angelegt. Aber das muss zur Zeit etwas zurückstehen."